Fremden Kind
erwarten«, sagte Peter.
»Mark Holroyd«, sagte Madeleine mit fester Stimme.
»Er hat mich aufgesucht. Sehr jung, charmant, klug und äußerst hartnäckig.« Sawle lachte, als müsste er zugeben, dass man ihn ausgestochen hatte. »Ich glaube nicht, dass ich ihm weiterhelfen konnte, aber andere Leute hat er anscheinend zu den erstaunlichsten Enthüllungen bewegen können.«
»Das wird ein ganz schöner Knüller, nach allem, was man hört!«, sagte Madeleine mit verbissen gespielter Begeisterung.
»Ich glaube, wenn die Leute erst mal en détail erfahren, was sich in der Bloomsbury Group wirklich zugetragen hat«, sagte Sawle, »werden sie Augen machen.«
»Wir kannten diese Welt ja kaum«, sagte Madeleine.
»Wir waren ja auch in Birmingham, meine Liebe.«
»Da sind wir immer noch!«
»Ich dachte gerade«, sagte Peter, »wenn kommende Woche dieser Gesetzentwurf durchgeht, könnte das zu einer größeren Offenheit führen.«
Paul, der noch mit niemandem über die Gesetzesvorlage gesprochen hatte, spürte wieder die innere Anspannung, nur ließ er sich nicht mehr so stark davon beirren wie vorhin in der Einfahrt mit Jenny. »Ja, das stimmt«, sagte er einigermaßen gefasst, und als er ins Kerzenlicht blickte, hatte er das Gefühl – auch wenn man das selbst nie ermessen konnte –, nicht mehr gar so rot zu werden wie beim ersten Mal.
»Ach, Sie meinen Leo Abses Vorlage«, tat Sawle zerstreut, möglicherweise um den aufgeladenen Begriff »Sexualstraftaten« zu vermeiden. Er schien mit einer kühlen, raffinierten Überlegung beschäftigt. »Auf jeden Fall könnte es die Atmo sphäre verändern«, antwortete er allgemein; ein leichter Wink, dass die Sache zwar von herausragender Bedeutung und öffentlichem Interesse sei, doch im Beisein seiner Frau besser nicht erwähnt werden sollte. Mit einem kleinen entschuldigenden Seufzer nahm er den Faden von vorhin wieder auf. »Aber, um auf Cecil zurückzukommen, ich bin zu der Ansicht gelangt, dass er mit seinem eigenwilligen Verhalten in Wirklichkeit eins von beiden erreichen wollte: entweder seine Mutter zu beschwichtigen oder sich so weit wie möglich von ihr zu distanzieren. In den Krieg zu ziehen war die perfekte Kombination.«
»Ah ja …« Paul sah George Sawle entgeistert an. Nicht allein, weil dieser Mann Lytton Strachey und Cecil Valance persönlich gekannt hatte, sondern weil er frei von jeglichen Illusionen über sie sprach. Cecil war für ihn ein Schemen im Hintergrund, eigentlich kein Dichter, vielmehr ein ausrangiertes Möbelstück auf dem Dachboden der Familie.
»Dudley war ein ganz anderer Mensch«, fuhr Sawle fort, »stand aber genauso unter ihrem Bann. Sie umschmeichelte die beiden und ließ sie dann fallen. In seiner Autobiografie schreibt er sehr treffend über sie. Haben Sie die mal gelesen?«
Paul blickte starr, schüttelte nicht mal den Kopf, doch Peter sagte gleich: »Ja, selbstverständlich.«
»Ziemlich gut, finden Sie nicht?«
»Ich habe mich gefragt, ob er heute Abend wohl kommt«, sagte Paul mit einer gewissen Zuversicht, doch Sawle fuhr ihm brüsk über den Mund.
»Das würde mich sehr wundern.«
Nachdem er sich das getraut hatte, meinte Paul auch noch das andere loswerden zu müssen, was ihm schon die ganze Zeit auf der Zunge lag und er einstudiert hatte: »Was halten Sie eigentlich von Valances Gedichten?« Er sah Mann und Frau nacheinander an, seine Orakel, und machte sich auf eine gepfefferte Antwort gefasst, doch offenbar interessierte es sie kaum.
»Ich hab’s, ehrlich gesagt, nicht so mit Gedichten«, gestand Mrs Sawle.
Der Professor schien etwas länger zu überlegen und sagte dann mit Bedauern: »Das ist nicht so einfach zu beantworten, wenn man weiß, wie sie entstanden sind. Aber vermutlich sind sie nichts Besonderes.«
Peter sah Paul gerührt an, auch die naive Frage rührte ihn, dennoch schien er nicht bereit, den Sawles zu widersprechen. Paul verschwieg daher lieber, wie viel ihm die Gedichte immer bedeutet hatten.
»Im Übrigen«, sagte Sawle, um klarzustellen, dass er sich nicht von seinem Thema abbringen ließ, »will ich nicht behaupten, Cecils Tod habe Louisa nicht das Herz gebrochen – ganz sicher hat er das. Aber sie hat ihn ausgenutzt … wissen Sie. Das konnten sie gut, diese Frauen. Die Gedenkbücher, die Buntglasfenster, Cecil bekam sogar ein Marmorgrab, von einem italienischen Bildhauer entworfen.«
»Ja, ich weiß«, sagte Peter.
»Natürlich, Sie müssen es ja kennen.«
»Was?«, fragte
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