Fremden Kind
verstehen geben. Es war Paul, der jetzt antwortete: »An denen sitzt sie schon ewig und drei Tage.«
»Ach, Sie wissen davon?«, sagte Sue.
»Na ja, ich habe am Rande davon gehört …«, sagte er, und dann: »Ist es nicht das Gedicht, das mit den Zeilen anfängt: ›Zu Häupten eine Lärche , / zu Füßen eine Trauerweide‹?«
»Sie kennen sich also doch aus«, sagte Sue leicht pikiert.
»Vielleicht sollte ich lieber Sie in die Klasse einladen!«, sagte Peter, und der angedeutete Spott löste sich in seinem rehäugigen Blick auf, als spürte auch er die flirrende Erregung und ihre Verheißungen. So hatte Paul noch nie ein Mann angeschaut, und in seinem Glück und Schreck stellte er fest, dass er sein Glas bis auf den letzten Tropfen ausgetrunken hatte.
»Also dann, auf zum Essen«, sagte Sue in einem Ton, der Paul den Verdacht aufdrängte, dass sie etwas gemerkt haben musste.
»Dürfen wir uns zu Ihnen setzen, Sir?«, fragte Peter.
George Sawles sonnenverbranntes Gesicht verzog sich zu einem diffusen Lächeln, als er auf die Stühle deutete. Der Tisch unter dem Schirm der Trauerbuche, mittlerweile im Schatten, von Mücken heimgesucht, war der von der Dinnergesellschaft am weitesten abgelegene, als wollte sich der alte Mann hier verstecken. »Ich bin Daphnes Bruder«, sagte er.
»Oh, ich weiß, wer Sie sind«, sagte Peter mit seinem zweideutigen glucksenden Lachen und stellte seinen Teller auf den Platz neben ihm. »Ich bin Peter Rowe. Ich unterrichte auf Corley Court.«
»Ach, herrje …!«, gab der alte Sawle in einem Ton von sich, der suggerierte, dass es zu diesem Thema viel zu sagen gäbe, wenn man nur die nötige Zeit hätte. Paul grinste, aber war unsicher, ob er ihm sagen durfte, was für eine Ehre es sei, ihn kennenzulernen. In Wantage war er gelegentlich John Betjeman über den Weg gelaufen, hatte aber noch nie einen Schriftsteller persönlich kennengelernt. Die Alltagsgeschichte mit ihren antiquiert anmutenden Abbildungen vom Streifenanbau in der Landwirtschaft und Pferdefuhrwagen war noch vor dem Krieg erschienen. Fast grenzte es an ein Wunder, dass G. F. Sawle und Madeleine Sawle überhaupt noch unter den Lebenden weilten, geschweige denn, in einem klapprigen Austin Princess durch die Lande juckelten. Paul setzte sich neben Peter, als hätten sie es immer so gehalten; es fiel ihm leicht, dabei war es vollkommen neu für ihn, und er versuchte, Ruhe zu bewahren. Das große Glas Wein würde ihm dabei helfen. »Wir sind uns schon begegnet. Ich bin Paul Bryant«, sagte er zu George Sawle. Der Stuhl kippelte etwas und versank dann ein Stück im Rasen.
»Ja, richtig …« Sawle nickte und zupfte verlegen an den längeren seiner weißen Bartstoppeln unterm Kinn. Durch seine dicken Brillengläser beäugte er skeptisch den Lachs und die frischen Kartoffeln auf ihren Tellern.
»Möchten Sie nichts essen, Professor?«, sagte Peter.
»Ach, ich glaube, meine Frau holt gerade …«, sagte Sawle und sah sich kurz darauf nach ihr um. »Da kommt sie ja …!« Es schwang die Aufforderung mit, sie in ihrer Ergebenheit oder Exzentrizität als skurriles Paar zu betrachten.
Paul drehte sich um und sah Madeleine Sawle mit einem Teller in jeder Hand vorsichtig über die Terrasse schreiten und sich dann zischen den mit weißen Tüchern bedeckten Tischen auf dem Rasen einen Weg zu ihnen bahnen. Andere Gäste schnappten sich Stühle und sagten »Aber natürlich dürfen Sie, meine Liebe …!« zu denselben Leuten, denen sie eben noch versucht hatten auszuweichen. Dieser gesellschaftliche Umgangston war neu für Paul, die spitze Note der Oberschicht, die aus dem allgemeinen Mix herausragte, dazu ein, zwei laute Stimmen von Leuten aus dem Ort; und er war froh, dass er hier versteckt unter dem erhabenen Volant der alten Buche saß. Er spürte das Glück des Abends rasch anschwellen und mit ihm den üblichen Verdacht, dass alles doch nur ein Irrtum war – bestimmt würde jede Minute Mrs Keeping aufkreuzen und ihn zurück auf seinen Posten am Tor beordern.
»Wir haben uns unter diesen gütigen Baum verzogen, meine Liebe, wie du vorgeschlagen hast«, betonte George Sawle, als Madeleine mit einem angedeuteten Stirnrunzeln die beiden Teller abstellte und ihre Handtasche öffnete, um das Besteck hervorzuholen, das sie darin transportiert hatte. Erneut registrierte Paul die gewagten roten Ohrringe, die ihr kantiges, männliches Gesicht flankierten. »Darf ich vorstellen, äh …«, sagte George.
Paul und Peter stellten sich
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