Fremden Kind
Paul.
»Es ist in der Schule«, sagte Peter. »Cecil Valance ist in der Kapelle beerdigt.«
»Wirklich?«, sagte Paul, dem der Atem stockte; das Ganze war für ihn wie ein Traum, der unter der kerzenbeschienenen Krone der Buche Gestalt annahm.
»Sie müssen mal kommen und ihn sich ansehen, unseren Cecil«, sagte Peter, »wenn Sie schon seine Gedichte mögen. Er ist ziemlich prachtvoll.«
»Vielen Dank«, sagte Paul, »sehr gerne«, und hinter seinem stieläugigen Blick ernst gemeinter Dankbarkeit verbarg sich sein Staunen über Peters Hand, die erst die Serviette auf seinem Schoß glatt strich und sich dann unversehens auf Pauls Schenkel verirrte und dort sekundenlang liegen blieb.
Nach dem Essen, auf dem Weg ins Haus, war Paul für einen Moment allein mit den Sawles, die sich jedoch mit plötzlich erwachter Herzlichkeit erleichtert einer Gruppe anschlossen, sodass er sich unbemerkt davonschleichen konnte. Sie waren freundlich, ja liebenswürdig zu ihm gewesen, aber er wusste, dass Peter sie eigentlich viel mehr interessierte. In den dunkler werdenden Schatten zwischen den Pfützen aus Kerzenschein erschienen ihm die Gäste, die ihre Gläser und Handtaschen einsammelten, ihre Gespräche ausdehnten oder unterbrachen, in einem höflichen Gedränge sich durch die Terrassentüren duckten, ins Haus, wie ein flackernder Fries, gesichtslose Menschen, die sich bereitwillig einer Sache fügten, der sie sich allein vielleicht nicht ausgesetzt hätten. Er war betrunken, und auch er duckte sich durch die Tür ins Haus; der Alkohol machte ihn unverdächtiger. Alle waren freundlicher und lauter. Das Wohnzimmer war zugestellt mit Stuhlreihen, die Verbindungstüren zum Esszimmer standen weit offen, das Klavier war herumgedreht worden. Mr Keeping drückte sich mit seinem spöttischen Lächeln an dessen Seite und bat die Hereinkommenden durchzugehen und die Reihen von vorn nach hinten zu besetzen. Paul knöpfte sein Jackett zu und zwängte sich lächelnd an ihm vorbei. Die Wirkung des Alkohols, draußen im Garten befreiend und entspannend, konnte hier im grellen Licht des überfüllten Raums gefährliche Folgen haben. Sah man ihm an, wie betrunken er war? Bevor noch etwas passierte, musste er unbedingt auf die Toilette, aber dort hatte sich schon eine Schlange gebildet, manche der älteren Damen brauchten zwei, fast drei Minuten. Er lächelte der vor ihm stehenden Frau zu, die sein Lächeln verkniffen erwiderte und dann wegschaute, als wären sie beide hinter demselben Schnäppchen her. Dann war er plötzlich allein im Hausflur mit dem bunten Durcheinander aus Geschenken und Grußkarten, die meisten ungeöffnet, auf dem Tisch und darunter abgelegt, Bücher, lose eingewickelte Topfpflanzen und weiche Dinge, die sich nur schwer ordentlich verpacken ließen. Seine zappelnde Ungeduld quälte ihn noch mehr, als ihm auffiel, dass er Mrs Jacobs kein Geschenk mitgebracht hatte, nicht mal eine Karte. Da kam endlich die Dame aus der Toilette und eilte ins Wohnzimmer; Paul hörte ein lautes Klopfen, beschwichtigendes Pst!, vereinzelt Applaus, dann setzte Mrs Keeping zu einer Rede an. Er konnte jetzt nicht mehr zurück. Also lieber das ganze Konzert verpassen. Er wollte sowieso nur Peter spielen sehen, ihn beobachten, mit der wunderbaren und beängstigenden Gewissheit, dass sie kurz davor waren … Er sah in den Spiegel, und wenn er es sich recht überlegte, wusste er gar nicht genau, wovor …
Er beeilte sich, fertig zu werden, dann lauschte er – schrecklich, wenn er die rasselnde Spülung mitten in Mrs Keepings Eröffnungstakte betätigt hätte. Aber nein, das Publikum lachte immer noch. Mittlerweile mussten alle mindestens so betrunken sein wie er. Er verharrte im Schatten der Tür vom Hausflur ins Wohnzimmer; zwei freie Plätze gab es noch, beide jeweils in der Mitte einer Stuhlreihe. Plötzlich brach eine Lachsalve los, und für eine irre Sekunde glaubte er, sie gelte ihm; mit rotem Kopf schob er sich seitlich an der Wand entlang und stellte sich hinter eine Reihe Esszimmerstühle. Von hier aus hatte er alles im Blick, aber alle hatten auch ihn im Blick. Zwei, drei andere hatten ebenfalls Stehplätze; die Flügeltüren zur Terrasse weiter hinten im Raum waren noch immer offen, und draußen, wo es schon beinahe ganz dunkel war, hatten sich weitere Gäste eingefunden. Mrs Keeping stand aufrecht, mit verschränkten Händen neben dem Klavier, wie ein Kind, das etwas aufsagt, aber verstehen konnte er sie nicht. Peter saß am Ende der
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