Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fremden Kind

Fremden Kind

Titel: Fremden Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Hollinghurst
Vom Netzwerk:
wusste, dass sie sich später am Auto treffen würden.
    Vor der Toilette lauerte ihm Jenny auf. »Wollen Sie noch mitkommen in die Corn Hall?«
    Julian blickte überrascht, dann plötzlich herrlich durchtrieben. »Yeah, meinen Sie, wir können … Ach, kommen Sie einfach mit, es wäre sogar ganz gut … Wollen Sie vorher noch Dad fragen?«, sagte er zu Paul.
    »Hm … vielleicht lieber nicht «, sagte Paul und freute sich, dass sein Tonfall Gelächter erntete. Er müsste sich vorher noch bei Mr Keeping für den Abend bedanken – das Bedürfnis war plötzlich heftig und mit Schuld behaftet, denn es quälte ihn der Verdacht, dass er vielleicht gar nicht das ganze Fest über hätte bleiben dürfen, dass er einen großen, unsäglichen Fehler begangen hatte.
    »Es geht doch noch bis Mitternacht, oder? Wie spät ist es jetzt?«
    Paul konnte schlecht sagen, dass er Peter versprochen hatte, mit ihm zusammen zu gehen, und sie noch etwas vorhatten – aber was eigentlich? Er stellte sich einen dunklen abgelegenen Parkplatz vor, auf dem er mal verliebte Paare beobachtet hatte. Gleich danach kam der nächste Schreck, als Peter jetzt auch noch sagte: »Ja, warum eigentlich nicht? Nur für eine halbe Stunde. Ich habe Lust zu tanzen«, als würden ihre eigenen Pläne plötzlich nicht mehr gelten.
    »Okay …«, sagte Julian, und seine Stimme verriet leise etwas Unaussprechliches, nämlich, dass er die Erwachsenen zwar zur Tarnung brauchte, aber nicht gerade erpicht darauf war, mit ihnen in der Corn Hall zu tanzen.
    »Kommt Ihr Bruder auch mit?«
    »Sagen Sie ihm bloß nichts davon«, sagte Jenny.
    »Ich tanze gerne«, sagte Peter.
    »Ich auch«, sagte Jenny, und zu Pauls großem Erstaunen fingen die beiden an, mit den Hüften zu kreisen und den Schultern zu zucken.
    Im Hausflur lieferte sich Mrs Keeping wispernd ein Wortgefecht mit einer anderen Frau. »Er kann unmöglich bleiben«, sagte sie, und Paul hielt sich beschämt zurück. Draußen in der Einfahrt, am Rand des von der geöffneten Haustür aufgeworfenen Lichtfeldes, stand Onkel Wilfrid, die Arme straff vor der Brust verschränkt, doch den Blick nach oben gerichtet, um den Himmel zu bewundern, als ob alles andere an ihm nicht verkrampft wäre vor Anspannung und Ablehnung. »Jenny ist im Abstellraum untergebracht, Mutter im Gästezimmer, und beide Jungen sind zu Hause … er hätte wirklich vorher Bescheid sagen können.«
    »Ach was, wir werden schon ein Eckchen für ihn finden«, sagte die andere Frau.
    »Warum nimmt er sich nicht ein Taxi nach Hause?«
    »Dafür ist es ein bisschen spät, meine Liebe.«
    »Ach, wirklich?«
    »Einen Schlafanzug hat er nicht zufällig dabei, oder?«
    Julians Miene verriet auf einmal starkes Mitgefühl. Vielleicht wäre er sogar so weit gegangen und nicht mit in die Corn Hall gefahren. Er schlüpfte nach draußen in die Einfahrt. »Hallo, Onkel Wilfrid«, sagte er und nahm ihn ein Stück beiseite.
    »Man kann den Krebs sehen, Julian«, sagte Wilfrid.
    Minuten später hatten alle im Hillman Platz genommen, Protagonisten einer schrillen kleinen Komödie plötzlicher Nähe, alle gaben sich geistreich, alle lachten, räumten Bücher und anderen Kram von den Sitzen, während das Auto mit Fluchtgeschwindigkeit die Glebe Lane entlangholperte. Am Scheitelpunkt der Straße hörten sie das Gras an der Unterseite der Karosserie entlangscheuern. Wilfrid saß auf dem Beifahrersitz, auf der Rückbank quetschten sich in schmerzlich drangvoller Enge Paul, Jenny und Julian. Julians heißer Schenkel drückte gegen Pauls, und Paul spürte, wie der Junge seine Hand umklammerte, aus einer allgemeinen Hemmungslosigkeit und selbstlosen guten Laune heraus, wie er glaubte. Er wagte nicht, den Druck zu erwidern. Sie stießen auf die Church Lane, brausten den Market Place hinunter, in die noch erstaunlich muntere Außenwelt. Vor dem Bell parkte ein Polizeiauto, daneben standen zwei Officer. Peter blieb souverän unbeeindruckt, schoss an ihnen vorbei, fuhr an den Rand und schaltete Licht und Motor aus. Sie standen vor der Midland Bank, und im ersten Moment war Paul heillos verwirrt, aber nein, morgen war Sonntag …
    Sie stiegen aus dem Wagen, strichen ihre Kleidung glatt. Wilfrid sagte: »Ich glaube, ich war seit Kriegsende nicht mehr tanzen.«
    »Es wird dir gefallen«, sagte Jenny zuversichtlich nickend. Faktisch war sie in dieser unausgewogenen Gruppe seine Partnerin.
    »Damals tanzte jeder mit jedem.«
    Peter schloss den Wagen ab, sah Paul ein wenig hilflos, aber

Weitere Kostenlose Bücher