Fremden Kind
Imp gab unweigerlich sein vulgäres Geräusch von sich. Autos mit Heckmotoren hatten sowieso etwas Komisches, kein Vorwärtsdröhnen, eher ein Furzablassen.
»Und, wie war dein Tag?«, fragte Peter, als sie die Oxford Street zurückfuhren. Bis Corley waren es fünf Kilometer, und er spürte, wie Pauls Befangenheit auf ihn übergriff, während er hinterm Steuer saß und nach vorn schaute. Er musste sie überwinden, jetzt gleich.
»Ach, ganz gut«, sagte Paul. »Heute waren die Bankprüfer da, deswegen waren alle ein bisschen nervös.«
»Ach, du Schreck. Haben sie schon mal einen erwischt?«
»Ich glaube nicht, jedenfalls bis jetzt«, sagte Paul einigermaßen bedächtig, und dann: »Eigentlich war ich ziemlich abgelenkt den ganzen Tag, wegen heute Abend.«
»Kann ich mir vorstellen«, sagte Peter, der sich darüber freute, Paul von der Seite ansah, doch der hatte sich halb von ihm abgewandt, als schämte er sich für seine Bemerkung.
»Ich möchte gerne das Grabmal sehen.«
»Ja, klar, ich zeig dir noch mehr«, sagte Peter.
Vor der Stadt wehte von den Weizenfeldern her eine staubige Brise durch die heruntergekurbelten Fenster und mischte sich mit dem leicht widerwärtigen Geruch nach heißem Plastik und Motoröl. Bei dem tosenden Wind war es vielleicht gar nicht nötig, viel zu reden; er erzählte von dem bevorstehenden Tag der offenen Tür, dem Kricketmatch und dem neuen Museum, doch Paul nahm es ohne Anteilnahme auf. »Da wären wir.« Die Waldzeile rückte näher, und er hoffte, Paul würde den Vierungsturm über der Kapelle erkennen, der, weitab von der Hauptstraße, zwischen den Bäumen hervorragte. Hier das Pförtnerhaus, eine kleinere Ausgabe des Herrenhauses, eine Ansammlung roter Giebel, mit einem Ecktürmchen, das einen eigenen Helm hatte. Die beiden schmiedeeisernen Tore standen ständig offen. Und auch jetzt geschah etwas, was Peter jedes Mal wundervoll fand: Als er herunterschaltete, die Geschwindigkeit drosselte und in die von schattigen Kastanien gesäumte Einfahrt bog, war es, als würden sie den Fallstricken des Lebens entrinnen und eine Geheimwelt betreten – im Rückspiegel und rasch entschwindend rasten noch immer Autos und Lastwagen an der Pforte vorbei, doch schon gleich wären sie nicht mehr zu hören. Eine magische Stimmung herrschte hier, die sich aus Privileg und Maskerade zusammensetzte und sich über manch wahrheitsgetreuere Kindheitserinnerung legte, das unwillkürliche Grauen vor der Schule – Peter überprüfte, ja überhöhte sein eigenes Gefühl, indem er im Gesicht dieses neuen Freundes danach suchte, den er kaum kannte, aber vermutete, besser zu kennen als sonst irgendjemand vor ihm. Zur Rechten konnte man durch den breiten Waldstreifen die Sportplätze erkennen, den reetgedeckten schwarzen Pavillon des Kricketfeldes. »Der Wald gehört übrigens nicht zur Schule. Zutritt verboten«, sagte er. »Wenn du da einen Jungen erwischst, kannst du ihn versohlen.«
»Versohlen?«
»Den Arsch versohlen.«
»Oh«, sagte Paul mit Verzögerung. »Oh, verstehe. Gehen wir uns später einen suchen?« Er wurde rot vor lauter Übermut. Peter lachte. Noch nie hatte er einen erwachsenen Mann kennengelernt, der schon bei der leisesten Andeutung einer Anstößigkeit sichtlich in Verlegenheit geriet. Paul war ein kochendes kleines Bündel aus unterdrückten Emotionen und Fantasien – vielleicht machte gerade das den Gedanken an Sex mit ihm (den er für die nächsten ein, zwei Stunden fest eingeplant hatte) so berauschend, als wäre es ein Experiment. Ob er dann auch noch rot würde … »Da wären wir.« Auf Corinnas Fest war zwar von Corley die Rede gewesen, doch Peter hatte ihn nicht darauf vorbereitet, was ihn hier erwartete. An den nächsten beiden Torpfosten bremste er nochmals ab, und plötzlich standen sie davor. »Voilà!«
Seine erdrückend steifen Umgangsformen, vielleicht auch reine Befangenheit, schienen Paul daran zu hindern, den Anblick des Hauses richtig in sich aufzunehmen. Peter bemerkte es, und sein Lächeln verblasste, während sie über den geschwungenen Kiesweg der Auffahrt rollten und direkt unter dem Raum der vierten Klasse zum Stehen kamen. Jedes zweite Fenster stand offen, damit frische Luft zirkulieren konnte, und die Köpfe der Jungen, über ihre Hausaufgaben gebeugt, drehten sich. In der Luft hing die unbeschreibliche Atmosphäre des Schulalltags mit all seinen unterschwelligen Energien, dem Quietschen und Scharren eines Stuhls über dem Boden, der
Weitere Kostenlose Bücher