Fremden Kind
unverständlichen Frage eines Schülers, der Ermahnung, sich nicht ablenken zu lassen und mit der Arbeit fortzufahren.
In der Eingangshalle sagte Peter leise: »Du hast bestimmt Durst. Kann ich dir was anbieten?« In seinem Zimmer hatte er einen Gin-Vorrat und noch eine ungeöffnete Flasche Noilly Prat.
»Oh, ja, gerne«, sagte Paul, ging jedoch um den großen Tisch in der Halle herum und sah sich unerwartet interessiert die Ehrentafel an. Auf den zwei schwarzen Platten waren die Preisträger und Stipendiaten irgendwelcher obskuren Internatsschulen verzeichnet, in goldenen Großbuchstaben. Die Lettern variierten unschön in Größe und Ausrichtung.
»Hast du schon D . L. Kitson entdeckt?«
»Oh, äh, wen …?«
»Donald Kitson. Nein? Egal, jedenfalls ist er Schauspieler. Die einzige Berühmtheit, die die Schule für sich reklamieren kann.« Sie vernahmen Schritte hinter sich, Quietschen auf jeder gebohnerten Stufe der Eichentreppe, die Kreppsohlen des Schuldirektors. Er kam in seiner unnachahmlichen Art auf sie zu, als wäre er soeben zu einer Schlussfolgerung gelangt, zur Abwechslung mal einer positiven.
»Ah, Peter, gut. Preisen Sie unsere großen Männer.« Er musste den Wagen gesehen haben, den Fremden, der das Haus betrat.
»Herr Direktor, darf ich vorstellen, mein Freund Paul Bryant. Paul, das ist …« Er nuschelte den Namen des Direktors, als wäre er vertraulich oder nicht weiter von Belang. Dennoch hatte er das bestimmte Gefühl, gegen eine Regel zu verstoßen.
»Willkommen auf Corley Court«, sagte der Direktor, und gemeinsam wandten sie sich wieder der Ehrentafel zu. »Nach diesem Schuljahr benötigen wir wohl eine neue Tafel.« Tatsächlich fiel auf, dass die Zahl der Ausgezeichneten nach fünf mageren Jahren, 1959 bis 1964, für die es keinen einzigen Eintrag gab, wieder zugenommen hatte. »Peter bewirkt in der fünften Klasse wahre Wunder«, sagte der Direktor, als wollte er einen Vater überzeugen. Möglich, dass er Paul in der Bank gesehen hatte und nun versuchte, ihn einzuordnen.
»Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich Paul ein bisschen durchs Haus führe, Herr Direktor?«
Der Direktor begrüßte die Idee. »Halten Sie sich nur bitte vom Lesesaal fern, wenn es geht. Aber die Kapelle müssen Sie sich unbedingt ansehen. Und die Bibliothek. Und eigentlich«, sagte er mit einem abschätzenden wie besitzergreifenden Blick aus dem Fenster, als bedauerte er, sich ihnen nicht anschließen zu können, »ist heute kein schlechter Tag für einen Abendspaziergang durch den Park.«
»Da sagen Sie was«, griff Peter den Vorschlag auf und sah Paul mit unbewegter Miene an.
»Gehen Sie raus auf die Upper Tads. In den Wald! Was weiß ich …!«
»Ja, ja, wir könnten …« Wollte der alte Trottel sie noch verkuppeln?
»Ich wollte mir gerade ansehen, wie weit die Reparaturarbeiten gediehen sind«, sagte er und ging auf die Tür zur fünften Klasse zu.
»Das würde ich Paul auch gerne zeigen, wenn Sie erlauben«, sagte Peter.
»Wirklich sehr bedauerlich, so kurz vor unserem Tag der offenen Tür«, fuhr der Direktor in vertraulichem Ton an Paul gewandt fort. Er öffnete die linke Seite der Flügeltür und spähte auf seine brüske, misstrauische Art hinein. »Aha, sie haben Fortschritte gemacht«, sagte er und gewährte Paul und Peter Einlass. Anstelle der über ihre Hausaufgaben gebeugten Jungen fanden sie alle Pulte an die Wand gerückt vor, außerdem Säcke voller Schutt und weiter hinten im Raum, über einem provisorischen Gerüst aus Leitern und Planken, ein rie siges gezacktes Loch in der Decke. Es roch feucht, und auf alle Oberflächen hatte sich eine körnige Staubschicht gelegt. Während der Musikstunde am Dienstagabend war die Badewanne der Hausmutter im ersten Stock übergelaufen, das Wasser hatte sich seinen Weg durch die alte Zimmerdecke darunter gebahnt, musste sich dann erst eine ganze Zeit lang über der abgehängten Decke aus den Zwanzigerjahren aufgestaut haben, bevor es durchgesickert, dann durchgetröpfelt und schließlich in einem einzigen Schwall zusammen mit einem Gemisch aus Putz und Mörtel auf ein Pult darunter gekracht war, an dem noch kurz vorher zwei Jungen gesessen hatten. Das Programm stand noch an der Tafel, in Peters berühmter Handschrift, Weberns Sechs Stücke für großes Orchester und die Wilhelm-Tell -Ouvertüre, die gerade in Fahrt gekommen war, als der erste warme Wasserregen Phillipsons Nacken traf.
»Haben Sie die Gelegenheit genutzt, mal die Originaldecke zu
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