Fremden Kind
hilfloser Unschuld auf die Ringstraße um Marlborough Gardens herum.
Er fragte sich, ob Paul ihm nicht vielleicht doch zu fremd war. So ein stiller Freund, das wäre ein hartes Stück Arbeit, seine Reserviertheit erschiene wie ein Vorwurf. Trotzdem würde es sich bei dem derzeitigen Mangel an Gelegenheiten lohnen, an ihm festzuhalten. Ein anderer hätte vielleicht keinen Sinn darin gesehen – einer, der seine warme, glatte Haut nicht berührt, nicht seine erst zögernden, dann hitzigen kleinen Stiche gespürt hatte, als er sich gehen ließ. Er hatte einen süßen, spitzen Schwanz, hart wie eine Hutnadel, den in einer anderen Hand als der eigenen, dann im Mund eines anderen zu sehen ihn maßlos erstaunt, ja entsetzt hatte. Der schockierende Anblick hatte ihn zum Keuchen und zum Kichern gebracht, und gleich danach, als es vorbei war, hatte er angefangen zu jammern. Peter musste ihn festhalten, seine Hand halten, aber dabei sah Paul so gequält aus, als hätte er das Gefühl, sich blamiert zu haben. Beinahe überstürzt brachen sie auf, er brachte ihn nach Hause, und mit einem einfachen »Bis bald«, einem hingeworfenen, nichtssagenden Kuss auf die Wange im schutzlosen Halbdunkel des Autos gingen sie auseinander. Doch alle diese kleinen Verlegenheiten erhöhten den Einsatz für Peter noch, machten das Spiel umso spannender. Diese Affäre war mit keiner bisherigen zu vergleichen, doch bescherte sie ihm dieselbe verwirrende Offenbarung, das Schlin gern und Schaukeln eines größeren Gefährts, als es sein klapp riger Hillman Imp war. Auf der Straße zurück nach Corley strömte durch die heruntergekurbelten Fenster ein neuer Duft herein, der feuchte, süßliche, nächtliche Geruch der Felder und Bäume ringsum, umso geheimnisvoller, da die Nächte so kurz waren. Kurz nach vier würde die Sonne aufgehen: Und sie beide würden erwachen mit unterschiedlicher Einschätzung, was sich für sie verändert hatte. Peter würde während des Unterrichts mit den Gedanken abschweifen, und Paul, das Einzahlungsbuch in der Hand, mit seinen Gefüh len beschäftigt, auf seinem Drehstuhl thronen in dem neuen Bewusstsein, dass jemand an ihn dachte und ihn begehrte.
Peter bremste ab, setzte den Blinker nach der leeren Straße und tauchte durch das Tor hinein in die alles verschlingende Finsternis des Parks. Die Lichter von daheim … die dunkle Meile durch den Duft … Die Bäume waren üppig gewachsen seit Cecil Valances Zeiten, und die Lichter der Schule waren nun verdeckt. Auch die Meile war eine rein poetische oder eine soziale, vielleicht, um Eindruck zu schinden. Es war eine der vielen eitlen Aufforderungen Cecils, ihn zu bewundern, und sehr wahrscheinlich nicht, Corley Court persönlich aufzusuchen. Dem Leser erschien er zu Pferde, die billigen Autos und Düsenflugzeuge der modernen Zeit noch in unvorstellbar grandioser Ferne.
Zwischen den White Horse Downs und Radcot Bridge
Nur Feld und Wald und sanftes Wiesenland
Und graue Türme, stilles Reet – und da
Kamille, die hoch unter Weiden stand
Und ihren Mondlichtschatten in der Themse sah.
Es war eines seiner besseren Gedichte aus der Vorkriegszeit, doch schon mit dem Hang zu klangvoller Staffage, der, legte man strengste Maßstäbe an, beinahe alles durchzog, was er geschrieben hatte.
Peter parkte auf dem Kiesweg in der Einfahrt und versuchte vergeblich, die Autotür leise zu schließen. Zwischen den Schleierwolken war der Mond aufgegangen, und bevor Peter das Haus betrat, ging er nach hinten über den Rasen zum Fischteich und noch mal die kleine Anhöhe hinauf zum Tor, das auf das Hochplateau führte. Es war, als würde er die beziehungsreiche Stille durchschreiten, die sich nach sexueller Befriedigung einstellte, getragen von den fortlaufenden, in Schleifen wiederkehrenden Bildern des Geschehens – er merk te, wie er es aufwertete, durch kleine Berührungen aufwärmte, und danach spürte er die entgegengesetzte Kraft, so etwas wie Unbehagen, die Kühle der Einsamkeit. Wenn Paul jetzt bei ihm wäre, würden sie es noch mal machen, besser diesmal. Gewiss, es war für jeden Menschen quälend, der um einen anderen warb, doch für zwei Männer … Vor dem ionischen Tempel blieb er stehen und spähte in die undurchdringliche Finsternis, witterte das warme, eingesperrte Leben dort. Womöglich durch ihn aufgescheucht, fing ein Kaninchen oder Hamster an zu rascheln und zu kratzen, ein Wellensittich hüpfte, schlug mit den Flügeln und stieß gegen sein Glöckchen. Peter ging
Weitere Kostenlose Bücher