Fremden Kind
sicher nicht sein Nachname. Paul hatte bis jetzt erst zwei Artikel in der Zeitung untergebracht, beide arg gekürzt und ganz weit hinten abgedruckt, schon fast bei den Kleinanzeigen: einen Artikel über Drinkwaters Stücke und den bedauernden Verriss eines Romans des pensionierten Diplomaten Cedric Burrell. Letzterer hatte eine gewisse Aufregung verursacht, da Burrell sein Abonnement, das er seit seiner Zeit in Oxford 1923 hielt, umgehend gekündigt hatte. In der Redaktion hatte das niemanden gestört, im Gegenteil sogar großen Anklang gefunden, und Jake hatte ihn gebeten, mal vorbeizukommen und sich »die Bücher anzugucken«, wenn er Lust habe. Paul ließ anderthalb Tage verstreichen, bevor er aufkreuzte.
»Verrätst du mir noch mal, woran du gerade arbeitest?«
»Ich schreibe eine Biografie über Cecil Valance«, sagte Paul nachdrücklich. Der Anspruch klang einigermaßen vermessen in diesem neuen Setting, doch kein Zweifel, eines Tages würde sein Buch auf dem Tisch vor ihm liegen. Jemand würde fragen, ob er es besprechen könne. Vielleicht würde sich ja dieser Norman daran versuchen.
»Ah, ja, richtig, ›Zwei Morgen von englischem Grund …‹«
»Unter anderem …«
»Hatten wir nicht erst neulich was über ihn?«
»Ja, wahrscheinlich die Briefe . Das ist jetzt auch schon wieder zwei Jahre her …«
»Das wird es gewesen sein. War er also auch schwul?«
»Wie gesagt … unter anderem.«
Jake schien wieder mal entzückt. »Waren sie doch alle, oder?«
Paul hielt etwas mehr Vorsicht für ratsamer. »Er hatte Affären mit Frauen, aber ich habe den Eindruck, dass er Jungs eigentlich lieber mochte. Das will ich herausfinden – unter anderem.«
Ein älterer Herr in den Fünfzigern mit pomadisiertem Haar und Paisley-Fliege war aus seinem Kabuff hervorgekommen, um sich Kaffee zu holen. Er blieb, guckte sich die Bücher an und musterte Paul mit einem berechnenden Blick über den Rand seiner Lesebrille. »Robin, das ist Paul Bryant, der ein paar Artikel für uns geschrieben hat. Robin Gray.«
»Ah, ja«, sagte Robin Gray freundlich, in einem vornehmen Ton, und zog das Kinn an. Er hatte die blauen Augen eines Schuljungen und das Gesicht eines Professors oder Richters.
»Paul schreibt eine Biografie über Cecil Valance, den Dichter.«
»Ach ja, tatsächlich.« Robin sah nach links und rechts, wie um diese delikate Köstlichkeit voll und ganz zu genießen. »Davon habe ich gehört …«
»Oh, wirklich?«, sagte Paul, erwiderte das Lächeln, fühlte sich aber plötzlich unwohl. »Du liebe Güte!«
»Sind Sie nicht neulich Daphne Jacobs über den Weg gelaufen?« Er kratzte sich am Kopf, als sei ihm das fast peinlich.
»Oh, ja …«, sagte Paul.
»Und wer, bitte schön, ist Daphne Jacobs?«, sagte Jake. »Eine von deinen Golden Oldies, Robin?«
Robin lachte schroff, ließ aber Paul, der es nicht für angebracht hielt, die Frage für ihn zu beantworten, da er selbst gespannt war auf die Antwort, nicht aus den Augen. »Daphne ist die verwitwete Mrs Basil Jacobs«, sagte er, »ist früher jedoch einmal Lady Valance gewesen.«
»Soll das heißen, dass sie mit Cecil verheiratet war?«, sagte Jake.
»Mit Cecil!?«, sagte Robin, als hätte Jake noch viel zu lernen. »Nein. Sie war die erste Frau von Cecils jüngerem Bruder Dudley.«
»Ich muss dazusagen«, erklärte Jake, »Robin kennt Gott und die Welt.« In dem Moment wurde er vom anderen Ende des Büros aus ans Telefon gerufen und ließ die beiden unvorhergesehen mit sich allein. Sie verzogen sich in die halb private Atmosphäre von Robins Kabuff. Robin stellte seinen Kaffee auf den Schreibtisch; im Gegensatz zu seinen Kollegen benutzte er eine Porzellantasse mit Untertasse und hielt auf eine gewisse Ordnung unter seinen Büchern, einer Phalanx der Loeb Classical Library, Archäologie, Frühgeschichte. Über dem Heizkörper hingen eine Badehose und ein Handtuch zum Trocknen. Alles sprach für ein Junggesellendasein mit striktem Tagesablauf. Robin räumte einen Stuhl von Manuskripten frei. »Ich bin der Redakteur für Frühgeschichte«, sagte er, »was hier alle ziemlich passend finden.« Paul lächelte verhalten und setzte sich, neben ihm ein Regal mit dem Debrett’s und Who’s Who , dazu die Bände der leicht gespenstischen und doch nützlichen Reihe Who Was Who, die Hobbys und Telefonnummern von längst Verstorbenen auflisteten. Spätnachts hatten Karen und er aus Jux mal Sebastian Stokes angerufen: Ein Moment Stille, dann das abschlägige Dröhnen
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