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Fremden Kind

Fremden Kind

Titel: Fremden Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Hollinghurst
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gewesen, aber hatte er hier am Balliol auch enge Freunde gehabt? Für Paul war Peter jemand, der an der Universität zu Hause war, als wären die beiden füreinander bestimmt. Er ging nach draußen zur Toilette in einem Erkertürmchen, und als er aus dem Fenster auf den düsteren Innenhof hinuntersah, erblickte er eine dunkelhaarige Gestalt. Beschwingt huschte sie zwischen den Schatten in den erleuchteten Tordurchgang zu einer Treppe. Es hätte auch Peter sein können, vor fünfzehn Jahren, der einen Freund besuchte, einen Geliebten vor ihm – und so ganz selbstverständlich alle seine Abende verbrachte.
    Einigermaßen gut gelaunt machte sich Paul auf den Weg zum Empfang. In dem großen, hell erleuchteten Common Room, einem überraschend modernen, geschmeidigen Bau, geriet er in die Fänge der Sekretärin des Fachbereichs Englisch, einer freundlichen jungen Frau, die in weiten Teilen für die Vorbereitung der Konferenz verantwortlich war. Ihre Schüchternheit kettete sie aneinander in diesem Eckchen neben dem Tisch, auf dem alle Zeitungen auslagen, auch das TLS . »Tja, da wären wir also!«, sagte Ruth, seine neue Freundin, und wurde rot vor Wonne, sodass Paul schon befürchtete, sie könnte Gefallen an ihm gefunden haben. Der Raum war erfüllt von zuversichtlichem Raunen, knappen Vorstellungsritualen, lauten Begrüßungen; Paul tauchte darin ein, es verschlug ihm den Atem. Der Mann neben ihm, wie ihm auf einmal bewusst wurde, war Professor Stallworthy, der sich in seiner Wilfred-Owen-Biografie davor gescheut hatte, offen über Owens Gefühle für Männer zu sprechen. Paul war auf einmal auch eingeschüchtert. Hinter ihm stand ein weißhaariger Mann in einer prachtvollen Militäruniform, General Colthorpe, wie Ruth ihm erklärte, er würde über Wavell sprechen. Und der Mann mit dem breiten Gesicht, der so angenehm streitsüchtig aussah und sich mit dem Master unterhielt, war Paul Fussel, wie Ruth ihm bestätigte. Sein Buch über den Ersten Weltkrieg hatte Paul tief berührt und die Augen geöffnet – obwohl es Cecil leider, wie auch der Band mit den Briefen von Evelyn Waugh, nur in einer Fußnote erwähnte: »ein Brooke-Epigone, nicht so neurotisch und nicht so talentiert«. Voller Bewunderung sah sich Paul um, bedeckte sein kleines Sherryglas mit der hohlen Hand und wartete ungeduldig auf das Eintreffen der Valances. »Waren Sie auch in Oxford?«, fragte Ruth.
    »Nein«, sagte Paul mit einem beinahe verschämten Lächeln, als wollte er Verständnis und Vergebung für ihren Irrtum signalisieren.
    Er wurde einem jungen Don des Fachbereichs Englisch vorgestellt und plauderte angeregt mit ihm über Cecil, doch nach einer Weile drehte sich ihr Gespräch im Kreis; wenn sich der junge Mann bewegte, streiften die langen Ärmel des Talars Pauls Hand. Paul konnte seinen Ausführungen nicht immer folgen; er sah sich in der Rolle des einfachen Pioniers, während Martin – hieß er so? – in größeren strategischen Zusammenhängen dachte und sich mit einer Aura der Ironie umgab. Verschämt ertappte sich Paul dabei, wie er zum dritten oder vierten Mal mit »Ja, durchaus!« antwortete. Er hatte den Eindruck, seinen Gesprächspartner zu langweilen, was sich wiederum unangenehm auf ihn selbst auswirkte; er verkrampfte sich, wurde nun auch noch abgelenkt durch die Anwesenheit der Valances im Raum und nickte bloß freundlich, als Martin sich davonmachte. Ab und zu ließ sich in dem allgemeinen Gequassel jetzt Dudleys so schneidige wie affektierte Stimme vernehmen, in der die historischen Vokale, mariniert und konserviert von dreißig Jahren Exil im Land des Sherrys, besonders herauszuhören waren. Zwischen den größeren jüngeren Gestalten, wehenden Talaren, der ganzen barbarischen Intensität einer in Bewegung begriffenen Menschenschar, verlor man ihn schnell aus den Augen. Linettes grünes glitzerndes Abendjäckchen half dabei, ihr allmähliches Fortkommen durch die Menge zu verfolgen. Dann plötzlich standen sie für eine Weile neben Paul, Linette mit dem Rücken, Dudley mit dem Profil zu ihm, in gebückter Haltung und gedämpft guter Laune aufmerk sam einem jungen Inder zuhörend, der in modischen theoretischen Begriffen über das Leben in den Schützengräben sprach.
    »Ja, ich weiß nicht«, sagte Dudley, der nur mühsam die Balance halten konnte zwischen minimalem Anstand und der festen Überzeugung, dass der junge Inder Blödsinn redete. Er lä chelte ihn breit an, was Paul so deutete, dass das Gespräch als beendet

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