Fremden Kind
anzusehen war, der indische Wissenschaftler jedoch als Aufforderung zur nächsten ausufernden Frage begriff.
»Aber Sie würden doch zustimmen, Sir, dass die Erfahrung des Krieges für viele Schriftsteller realistisch betrachtet auf der Vorstellung basiert, dass …«
»Du darfst dich nicht überanstrengen, Darling!«, funkte Linette spitz dazwischen, sodass sich der Inder, zutiefst gedemütigt, entschuldigte und vor ihrem aufblitzenden Lächeln zurückschreckte. Paul nahm es als Lehre, wie man sich den beiden auf keinen Fall nähern sollte. In der nachfolgenden peinlichen Stille witterte er seine Chance; er hob das Kinn, um etwas zu sagen, doch eine merkwürdige Lähmung ließ ihn nur stammeln und mit den Augen blinzeln, wodurch er aussah wie der reumütige, geflohene Fragesteller vor ihm. Er hätte Ruth bitten können, ihn vorzustellen, wollte aber unbedingt vermeiden, dass Linette bereits jetzt seinen Namen erfuhr – dass Dudley seine brieflichen Anfragen jemals zu Gesicht bekommen hatte, bezweifelte er. Dudleys steifer Nacken bewirkte offensichtlich, dass er den Kopf nur selten bewegte, und als jetzt ein Zuruf von hinten kam, drehte er sich mit dem ganzen Körper zur Seite und verlagerte sein Gewicht mit einem geübten Schlingern auf den Gehstock. Paul blieb staunend zurück – über den fast zustande gekommenen Kontakt, den Eindruck von Größe in greifbarer Nähe.
Beim Dinner zeigte sich, dass man ihn neben Ruth platziert hatte, und sein »Ach, wie schön!« war halb ehrlich gemeint, halb fühlte er sich entmannt. Man saß auf langen Bänken, blieb zunächst jedoch stehen, bis alle im Raum versammelt waren, nur ein, zwei Gäste hatten sich während der Unterhaltung rittlings hingesetzt. Dudley stapfte schwankend in einer Reihe mit anderen vorbei, die auf den High Table und richtige Stühle zusteuerte. Der Master begrüßte jetzt offiziell die Teilnehmer der Konferenz und leierte ein langes lateinisches Gebet herunter, als wollte er sie zaghaft an etwas erinnern, womit sie sich viel besser auskannten als er.
Paul war mittlerweile so betrunken, dass er sich dem höchst unattraktiven kleinen Mann auf der anderen Seite neben ihm vorstellte – die Männer waren bei Weitem in der Überzahl –, doch zeigte der ihm bald die kalte Schulter. Danach strapazierte er zehn quälende Minuten lang die Geduld der beiden Männer ihm gegenüber, die in ein Gespräch über komplizierte Fachbereichsbelange verwickelt waren, in die Paul einzuweihen, dessen TLS -Mandat anfing sich abzunutzen, kein Anlass bestand. Mit einem forciert neugierigen Lächeln beugte er sich vor, was sie brüsk quittierten. »Ich bespreche die Konferenz für das TLS « – sagte Paul, zu oft, wie er fand –, »aber zufällig sitze ich auch gerade an einer Biografie über Cecil Valance.«
»Hat er seine Arbeit über die Katharer eigentlich jemals zum Abschluss gebracht?«, fragte der Mann rechts.
»Soweit wir wissen, nicht«, bändigte Paul den Schrecken der Frage mit einiger Souveränität, wie er fand. Meinte der Mann vielleicht jemand anders? Cecil hatte sich in Cambridge aus irgendeinem Grund mit dem indischen Aufstand von 1857 beschäftigt. Was hatte das mit den Katharern zu tun? Wer waren die Katharer überhaupt?
»Oder habe ich da etwas falsch verstanden?«
»Also ….« Paul hielt inne. »Seine Studien, die er übrigens nie abgeschlossen hat, gingen über General Havelock.«
»Oh, also wohl kaum die Katharer«, sagte der Mann und bedachte Paul mit einem kritischen Blick, als sei ihm dieser Irrtum unterlaufen.
Der andere, etwas freundlichere Mann sagte: »Ich habe eben noch vor dem Essen mit Dudley Valance gesprochen, den Sie dann ja wohl kennen müssen, er war hier zusammen mit Aldous Huxley und Macmillan auf dem College. Hat aber nie seinen Abschluss gemacht.«
»Macmillan auch nicht, wenn wir schon dabei sind«, sagte der erste Mann.
»Hat ihn nicht davon abgehalten, Chancellor zu werden«, sagte Paul.
»Stimmt«, sagte der erste Mann und lachte verhalten.
»Das haben wir nur dem verdammten Trevor Roper zu verdanken«, sagte der erste Mann bitter, und Paul merkte, dass er unfreiwillig in ein weiteres akademisches Minenfeld geraten war.
Das Dinner nahm seinen weinseligen Lauf, und die Zeit raste, von niemandem bedauert, unbemerkt dahin. Paul wusste, dass er zu viel trank, doch in die Angst vor seiner eigenen Tollpatschigkeit mischte sich ein ganz neues Gefühl der Kompetenz. Er gab Ruth deutlich zu verstehen, dass er sich nicht
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