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Fremden Kind

Fremden Kind

Titel: Fremden Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Hollinghurst
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der er Pauls Fragen beantworten würde. Die Seite mit den Danksagungen in Pauls Biografie über Cecil sollte mit einem Dank an den Bruder beginnen, im Idealfall an den dann »verstorbenen Sir Dudley Valance«, der ihm »großzügig seine Zeit geschenkt« sowie »anstands- und bedingungslos sein Archiv zur Verfügung gestellt« habe. Der Autor der neuen Biografie von Percy Slater, die er gerade in Händen hielt, war sogar »im Haus der Familie herzlich aufgenommen« worden, was in seinem Fall eher unwahrscheinlich war.
    Solche Bücher schlug er immer zuerst an dem grau-schwarzen Streifen im Buchblock auf, der die Seiten mit den Fotos markierte. Seine Tagträume drehten sich oft um dieses letzte, eher dekorative Beiwerk zu seinem geplanten Buch: die Fotos von unattraktiven Vorfahren, die man meist übersprang, der Geburtsort oder das Wohnhaus, in dem die Kindheit verbracht worden war, die Herausbildung der Charakterzüge im Heranwachsenden, die im ersten Moment verwirrenden Bildunterschriften – unten rechts, gegenüber, nächste Seite – ein, zwei Bilder, denen man eine ganze Seite gönnte, und schließlich die entscheidenden Porträts, die das Bild der Figur prägen. Ob Dudley ihm jemals Zugang zu solchem Material gewähren würde? Wahrscheinlich wäre irgendein Vorwand nötig. Percy Slater war über siebzig geworden, es gab eine weitverzweigte Familie, Nachfahren, Frauen und Kinder, Urlaubsfotos aus Kenia und Japan, ein Foto mit der Hauptperson in Doktorrobe, von dieser Universität, im angeregten Gespräch mit Harold Macmillan, dem Chancellor. So etwas würde es für Cecil nicht geben, höchstens ein Foto von seinem Grabmal.
    An der Tischkante, in einem nüchternen braunen Umschlag, der Titel in roten und gelben Buchstaben, lagen die Letters of Evelyn Waugh, ein Buch mit Aura, so kam es Paul vor, voller Vertrauen in seine eigene Sache. Zuerst aber sah er sich noch etwas anderes an, die Vorfreude auszukosten und zu bündeln, nur um nach einer Minute wie beiläufig den schweren Band zur Hand zu nehmen und dann, wie er es seit Neuestem tat, den Anhang systematisch von hinten zu durchsuchen – Valance, dann Sawle, schließlich Ralph. Dudley wurde zweimal erwähnt, Cecil einmal – Letzterer nur in der Fußnote, die Dudley als den »jüngeren Bruder« von Cecil, dem »Dichter des Ersten Weltkriegs«, identifizierte. Er hätte das Buch gerne gekauft, doch fünfzehn Pfund, eine Wochenmiete, waren unerschwinglich. Eine bekannte, aber immer noch außergewöhnliche Ruhe überkam ihn. Er begab sich zur Geschichtsabteilung, suchte sich einen Prachtband über das mittelalterliche England aus, einen Einzelband aus einer klotzigen wissenschaftlichen Reihe in blassblauem Umschlag, Clarendon Press, vierzig Pfund, und nahm ihn kurz darauf mit nach oben. In seiner Aktentasche hatte er das Empfehlungsschreiben von Jake vom TLS , versehen mit seinem Namen und dem Auftrag »800 Wörter, Ende März«, das er nun gut sichtbar vorn ins Buch steckte. Im Zwischengeschoss, wo die Klassiker ausgestellt waren, holte er sein Notizbuch hervor, um sich einen Titel aufzuschreiben, hockte sich neben ein niedriges Regal hinter einem Tisch und notierte mit Bleistift drei, vier Seitenzahlen und ein Fragezeichen auf das Vorsatzblatt des Buches über die Geschichte der Plantagenets. Von hier aus ging es eine Etage höher in das moderne Antiquariat, wo er den jungen bärtigen Mann fragte, ob sie gut erhaltene Rezensionsexemplare kauften. Die Plantagenets wurden eines flüchtigen Blickes gewürdigt, der Rezensionsauftrag beiläufig zur Kenntnis genommen und das Buch auf wertmindernde Mängel überprüft. »Wir können nur den halben Preis dafür zahlen«, sagte der Mann. »Ach, wirklich?«, sagte Paul und kaute auf der Unterlippe –, »na gut, wenn das hier übliche Praxis ist, okay. Moment, darf ich noch eben den Rezensionsauftrag herausnehmen?« Die Ware wurde in ein Hauptbuch eingetragen, der Band auf einen Handwagen mit Neuerwerbungen abgelegt, und Paul wurden zwei saubere Zehnpfunds cheine ausgehändigt. Wenige Mi nuten später schlenderte er mit den Briefen von Evelyn Waugh in der Aktentasche und dem hübschen Überschuss von fünf Pfund in der Hosentasche zurück zum College.
    Das ihm zugewiesene Zimmer, am Ende einer langen Steintreppe, hatte ein Schild mit dem Namen Greg Hudson an der Tür, und obwohl Bettwäsche und Handtücher frisch waren, kam er sich zwischen all den Büchern, Schallplatten und Kleidungsstücken, die Greg während der

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