Fremden Kind
diesen Beruf bewiesen habe. Die Tatsache, dass ich eines Tages mit Sicherheit Herr über Corley Court sein würde, fiel erstaunlicherweise kaum ins Gewicht. Sicher, als mutilé de guerre war ich diversen Ausnahmen und Vorsichtsmaßregeln unterworfen, aber Untätigkeit war noch nie meine Sache. Vielleicht öffnete die Verstummung der anderen Schriftsteller in unserer Familie, des Dichters und des Agronomen, dem Jüngeren eine Tür. Ein Familienpsychologe hätte vermutlich ein Muster aus unterbewussten Motivationen und Chancen aufgedeckt. Jedenfalls las ich mir wieder einige Skizzen durch, die ich vor langer Zeit einmal im Cherwell und in der Isis veröffentlicht hatte, und mir gefiel ihr jugendlicher Sarkasmus. Die für viele von uns nach dem Krieg wohlvertraute Gepflogenheit, das frühere Ich als fremdes Wesen zu begreifen, als einen Unschuldigen Arkadiens, erwies sich erfrischenderweise als nur die halbe Wahrheit.
Die lange Galerie habe ich in knapp drei Monaten geschrieben, in einem Zustand gereizter Anspannung und grimmiger Aufgekratztheit. Über die Rezeption und die Veränderungen, manche amüsanter, die meisten unange nehmer Art, die der Erfolg dieses Büchleins mit sich brach te, habe ich mich bereits geäußert. Die Arbeit an ernsthafteren Werken, zu der ich mich berufen fühlte, wollte danach jedoch nicht gelingen. Ich hatte das Gefühl, als müsste ich vieles aus dem Weg räumen; und auch in der Hinsicht hätte unser Psychologe sicher einiges zu Protokoll geben können. Dieses Bedürfnis lag teilweise auch meinem brennenden Wunsch zugrunde, Corley zu entrümpeln, sobald mein Vater gestorben war. Eine zunehmende Abneigung gegen alles Viktorianische wurde zu einer Art Mission für mich, der zufällig ein großes viktorianisches Haus von exorbitanter Hässlichkeit und geringem Komfort für seine Bewohner geerbt hatte. Manchmal habe ich mich gefragt, ich gebe es zu, ob sich nicht gerade diese Hässlichkeit zukünftigen, noch ungeborenen Generationen als kurioser Charme darstellen wird. Nur an wenigen Stellen habe ich den völligen Abriss der erdrückenden und protzigen dekorativen Ausstattung aus der Zeit meines Großvaters zugelassen – verzierte Stuckdecken, dunkle Wandvertäfelungen, stümperhafte und plumpe Steinreliefs und Mosaike – und mithilfe einer Innenarchitektin, die sich der Moderne verpflichtet fühlte, dafür gesorgt, dass sie alle verschalt wurden. Die Entwürfe, von manchen Alfred Waterhouse zugeschrieben, dessen düstere neogotische Gebäude mein eigenes College verschandelt haben, sind eine in ihrem Niveau singuläre Beleidigung fürs Auge. Gut möglich, dass mein Großvater diesen Architekten konsultiert hat. Die Bauzeichnungen, die auf Corley überlebt haben, stammen allerdings alle von der Hand eines gewissen Mr Money, eines Provinzpraktikers, der sonst nur für das zugige Rathaus von Newbury bekannt ist – und wie ungemütlich dieser Bau ist, erfuhren mein Bruder und ich als Kinder jedes Jahr aufs Neue, wenn wir meinem Vater bei der Übergabe von Preisen an die örtlichen Viehzüchter zuschauen durften. Bestimmte Räume auf Corley Court waren selbstverständ lich sakrosankt, allen voran die Kapelle in der besten Spitzbogenarchitektur, die man für Geld, beziehungsweise von Money, kaufen konnte, und in der mein Bruder unter einem Haufen Carraramarmor zur letzten Ruhe gebettet wurde. Die durfte nicht angetastet werden. Auf strengen Wunsch meiner Mutter blieb auch die Bibliothek in ihrem düster-schwermütigen Originalzustand erhalten. In allen anderen größeren Räumen jedoch legte sich eine moderne Helligkeit und Schlichtheit über die Schrecken einer vergangenen Ära.
Paul trank sein Glas aus. Es würde schon nicht auffallen, wenn er sich noch mal einschenkte, und wenn doch, wäre es nicht mehr nachzuverfolgen. Mit selbstgerechter Ungeduld ging er zum Schrank. War dieses Gebäude, diese spartanische kleine Mansarde, wohl auch ein Werk von Waterhouse? Er sah sich die Fensterlaibung aus Stein an, die gekerbte und fleckige Fensterbank aus Eiche, den zugenagelten Kamin, möglicherweise ein entfernter Verwandter der Kamine auf Corley Court. Peters Zimmer dort hatte jedenfalls genau den gleichen Kamin, grauer Stein, mit einem weiten, flachen Spitzbogen … Einmal, erinnerte er sich, hatte Peter ihn in hellster Aufregung gebeten, ein Loch in der Decke zu inspizieren. Ihm selbst bedeuteten solche Dinge nichts, doch Peter hätte sich damit bestimmt ausgekannt. Er war am Exeter College
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