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Fremden Kind

Fremden Kind

Titel: Fremden Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Hollinghurst
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Ferien hiergelassen hatte, wie ein ungebetener Gast vor. Unterm Bett lagen verdreckte Turnschuhe, überm Schreibtisch hing ein Blondie-Poster. In einem süßlich riechenden Schrank voller Marmeladengläser und Kaffeepackungen entdeckte er eine halb volle Flasche Maltwhisky und goss daraus einen Fingerbreit in ein Glas. Einen Fuß auf der Kaminplatte, stand er da und nippte an seinem Drink. Es gab ein Gedicht von Stephen Spender, das mit der seltsamen Zeile begann: »Marston ließ auf den Rost sie fallen, da zerbrach die Pfeife.« Sie war ihm in dem Moment in den Sinn gekommen, als er die Tür aufschloss und mitten in sein beklemmendes Unbehagen und seine heimliche Aufregung hinein feststellte, dass das Zimmer voller Sachen war, die einem fremden Menschen gehörten. Die Zeile mit Marston war Teil der Vorstellung, die er von Oxford hatte, das Bild von Pfeife rauchenden Studenten, die sich mit Nachnamen anredeten; und obwohl Paul vergessen hatte, was im restlichen Gedicht passierte, sah er im Geiste, wie Marston just hier seine Pfeife auf die steinerne Kaminplatte fallen ließ, so wie ihm jetzt das Glas kostbaren Glenfiddichs auch leicht aus der Hand gleiten konnte.
    Er las die Ansichtskarten aus Paris und Sydney auf dem Kaminsims, beide mit Jacqui und vielen Kreuzchen unterschrieben, und nahm das gerahmte Foto der College-Second-XV-Rugbymannschaft in die Hand, auf dem unter jedem Spieler in einer zierlichen Schnörkelschrift der Name stand. Der grinsende Riese da auf der Seite war also Greg, sein Gemächte vom runden Wuschelkopf des vor ihm Sitzenden ver deckt. Was musste sich sein großer verschwitzter Körper in diesem Schuljungenbettchen abplagen, und was für ein schreckliches Gedränge erst, wenn auch noch Jacqui zu Besuch kam. Paul zog die oberste Schublade des Schreibtischs auf, doch war sie vollgestopft mit Papieren, die durchzugehen er sich vorerst schenken wollte. Sonst gab es nicht viel zum Lesen, außer Chemielehrbüchern. Aus irgendeinem Grund ließ er seine Neuerwerbung, wenn man sie so nennen durfte, unberührt.
    Lieber blätterte er, bevor er in einer halben Stunde zum Dinner hinunterging, noch ein bisschen in Dudleys Schwarzen Blumen , damit er etwas zum Zitieren hatte oder eine Frage stellen konnte, sollte sich während der Drinks eine Gelegenheit ergeben. »Ich würde gerne von Ihnen wissen, Sir Dudley … Sie schreiben hier …« Corley Court wäre ein guter Einstieg, weil er es kannte. Mit neu entfachtem Interesse sah er sich das Autorenfoto an, hatte den Eindruck, dass Dudley heute fast jünger wirkte – die Manier des Literaten der Fünfzigerjahre schien verstaubter. Verlegen ließ Paul sich mit seinem Whisky unter der hellen Deckenleuchte nieder. Die über den Lehnsessel gebreitete rote Tartandecke tarnte nur die ver mutlich durch Gregs anhaltende Einwirkung verbogenen, bohrenden Sprungfedern. Über die Veränderungen auf Corley Court hatte sich Dudley folgendermaßen geäußert:
    Ein Jahr nach Kriegsende wurde mein Vater von einem Schlaganfall niedergestreckt und praktisch zum Schweigen gebracht; er lebte noch bis 1925, ein langmütiger Gefangener im Rollstuhl, doch seine charakteristische Liebenswürdigkeit blieb ungetrübt. Er sprach ein ganz und gar eigenes heiteres Idiom, ohne sich darüber bewusst zu sein, dass die Geräusche, die aus seinem Munde kamen, für seine Zuhörer keinen Sinn ergaben. An seinem Gesichtsausdruck erkannte man, dass das Gesagte im Allgemeinen freundlich und witzig gemeint war; und er schien unseren Unterhaltungen mit großer Klarheit zu folgen. Von uns verlangte es eine Engelsgeduld und ein gewisses Maß an gut gemeinter Heuchelei, ein Gespräch mit ihm in Gang zu halten. Sein Verhalten jedoch legte die Vermutung nahe, dass er in diesen qualvollen Begegnungen große Erfüllung fand.
    Die Arbeit an dem Buch Die Verbreitung roter Kälber unter Aberdeenrindern , geplant als sein bedeutendster Beitrag zur Agrarwissenschaft, musste für immer eingestellt werden. Meine Mutter weitete ihre Kontrolle über das häusliche Leben sehr geschickt auf das gesamte Anwesen aus. Meine eigenen Anstrengungen, ihr dabei zu helfen, wurden, wenn nicht ausdrücklich zurückgewiesen, dann zumindest als untauglich, ja eigentlich lästig betrachtet. Man gab mir zu verstehen, dass mein Bruder Cecil – eine bizarre Vorstellung – sehr viel mehr von Landwirtschaft verstanden habe, von »Horn und Korn«, wie meine Mutter es zu nennen beliebte, und ich noch nie eine besondere Begabung für

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