Fremden Kind
Männer hereingefallen, die sie nicht richtig lieben konnten – ihr nicht das geben, was sie wollte. RR wurde drogenabhängig, und beide haben gesoffen wie ein Loch.« Ich fragte ihn, ob D auch Drogen genommen habe. »Das nehme ich an. Es würde mich kein bisschen überraschen, wenn sie es ausprobiert hätte.« Ob er sie in den 30ern häufiger getroffen habe? »Wir haben uns nie sehr nahegestanden. Aber sie lebt ja noch.« Und ich: »Aber Sie beide sehen sich nicht?« Ich glaube, er war sich tatsächlich nicht sicher. »Ich glaube nicht, dass wir uns heute noch oft sehen.«
War RR D untreu? (Meine Fragen waren sehr einfach, aber ich fand, bei seiner »Enthemmung«, gepaart mit der Vergesslichkeit, durchaus in Ordnung.) »Ganz bestimmt. RR hatte einen ausgeprägten Geschlechtstrieb, er hat mit jedem gevögelt.« (Ich musste unwillkürlich lachen, aber er verstand nicht, warum, hatte offenbar den Eindruck, dass alle anderen mehr Sex gehabt hatten als er.) Ich: »Was ist aus dem Sohn geworden, den sie mit RR zusammen hatte, Jenny Ralphs Vater? Hat er ihn gekannt?« – »Es gab einen Sohn, ja, aber natürlich war RR nicht der Vater.« Ich wollte ihn durch meine Verwunderung nicht noch ein zweites Mal aufschrecken. Er sah mich nur wieder mit seinem wissenden Blick an: »Ich glaube, es ist kein Geheimnis, dass der Vater des Kindes der Maler Mark Gibbons war. Die beiden hatten eine Affäre.« Mark Gibbons hatte wahrscheinlich auch mit jedem gevögelt, stellte ich mir vor, wollte aber lieber nicht nachfragen. Erinnerte mich von Ds 70. an ihn; hat mit ihr getanzt, also vielleicht doch was dran. (Lebt MG noch? Hat er C vielleicht gekannt? Und weiß Jenny Ralph, wer ihr Großvater ist?) »Ich bin mir sicher, dass das stimmt«, sagte GFS , »aber behalten Sie das lieber für sich.« Versprochen habe ich es ihm nicht.
Ich fragte ihn, ob er Fotos von C habe. »Ja, ganz bestimmt!« Er ging zu einem niedrigen Regal weiter hinten im Zimmer, in dem sich alte Alben und Sammelbücher stapelten, fing an, sie herauszuholen und auf einen kleinen Tisch davor auszulegen. Wie er so dastand, gebückt, Hintern hochgereckt, mit der Zunge zwischen den Zähnen, während er ächzte und blinzelte, fiel mir wieder das Bild ein, das ich bei Jonah gesehen hatte, GFS mit 19, und sein etwas steifes, verschlossenes Wesen, das mich an mich selbst erinnerte. Ich sagte, in seiner Ausgabe der Briefe sei en einige gute Fotos abgebildet. »Oh, ja?«, sagte er. Natür lich erhoffte ich mir Fotos von C und GFS zusammen. »Ah, ja, danach habe ich gesucht«, sagte er und zog ein großes Album mit einem labbrigen Einband hervor. Als er es auf den Tisch hob, rutschten einige kleine Abzüge heraus und fielen vor uns auf den Boden. Offenbar hatten sich die alten Fotoecken aufgelöst. Ich hob ein paar auf und merkte mir, wo die anderen hingefallen waren (einschl. des tollen von C, wie er Blanchard und Ragley vorliest, das auch in der Briefsammlung abgedruckt ist).
»Na, dann wollen wir mal sehen …« – Es war klar, dass keiner von uns beiden wusste, auf was wir stoßen würden. Er stützte sich leicht auf meinen Arm, beugte sich unmittelbar vor mir über das erste Album, um einige Bilder genauer zu betrachten. Sein kahler Kopf nahm mir jede Sicht, aber er quasselte unentwegt weiter. Die Alben reichten zurück bis in die Zeit des Spätviktorianismus, es gab sepiafarbene Porträtaufnahmen von den Familien seiner Eltern (ein Elternteil von Freda Sawle kam anscheinend aus Wales, ein Onkel war ein berühmter Sänger). GFS war leicht abzulenken, kniff die Augen zusammen, um die in weißer Tinte, wie gemalten Bildunterschriften zu entziffern, enträtselte etwas und korrigierte sich wenig später, keuchte heiß und schwer über den Seiten. Ich sagte, Hubert habe wohl eine Kamera besessen. »Ja, genau. Ich weiß auch noch, vom wem er sie hatte, Harry Hewitt.« Wieder mal der gute alte HH – wie würde sich GFS wohl über ihn auslassen, fragte ich mich. » HH war ein sehr reicher Mann, der in Harrow Weald wohnte. Import/Export, Glas und Porzellan und solche Sachen, Handel mit Deutschland. Es gab Leute, die hielten ihn für einen Spion.« Und ich: »Und?« GFS kniff mich in den Arm und kicherte. »Ich glaube nicht. Er war schwul, war verliebt in meinen Bruder Hubert, der im Krieg getötet wurde.« Und hat Hubert seine Liebe erwidert? »Hubert war überhaupt nicht so veranlagt. Er war sehr schüchtern. HH machte ihm immerzu teure Geschenke, was Hubert in Verlegen heit
Weitere Kostenlose Bücher