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Fremden Kind

Fremden Kind

Titel: Fremden Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Hollinghurst
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schnellen Seiten blick zu seiner Mutter, »es ist eine besondere Gelegenheit.«
    »Wir trinken sonntags häufiger Wein«, sagte George.
    »Ein sehr trauriger Anlass«, sagte ihre Mutter kopfschüttelnd und hob ihr Glas. »Wir können doch Cecil an seinem letzten Abend bei uns kein Wasser vorsetzen. Was soll er von uns denken.«
    »Ich würde Sie für ausgesprochen instinktlos halten«, sagte Cecil und kippte das Glas Rheinwein hinunter.
    »Allerdings!«, sagte Daphne, die sich trotzdem mit der üblichen Sonntagskost zufriedengeben musste. Sonntagabends hatte die Köchin frei, und sie hatten sich zu einem kargen Mahl aus Hühnchen in Aspik und Salat niedergelassen. Auf alles Festliche hatte man verzichtet, jetzt hieß es nach vorn schauen; nach dem Champagner und dem Tennyson der letzten beiden Dinner schien der heutige Abendbrottisch sie feinfühlig auf den prosaischen Wochenbeginn am Montagmorgen einzustimmen.
    »Ja, altes Haus, wir lassen dich ungern ziehen«, sagte George.
    »Es ist wirklich sehr schade …«, sagte seine Mutter und sah dabei Daphne unsicher lächelnd an.
    Daphne wiederum starrte George an, der zum Erbarmen aussah; sie kannte seine verkrampfte Miene, wenn Gefühle ihn überwältigten, ebenso sein irritiertes Stirnrunzeln, wenn er meinte, beobachtet zu werden. »In vierzehn Tagen bist du wieder in Cambridge«, sagte sie.
    »Ach, ich glaube, wir kommen schon darüber hinweg«, sagte Cecil gedankenverloren.
    »Ich meine, George ist fein raus«, sagte Daphne, »aber wir werden Cecil so bald nicht wiedersehen, vielleicht nie wieder!«
    Cecil schien diese pathetische Behauptung zu gefallen, und seine dunklen Augen fingen ihren Blick auf. »Sie müssen eben auch nach Cambridge kommen«, sagte er lachend. »Findest du nicht, Georgie?«
    »Ach, eigentlich …«, sagte George dumpf.
    »Hmm …«, sagte Daphne.
    »Doch, selbstverständlich musst du kommen«, sagte George jetzt aufrichtig, doch Daphne wusste, dass er sie eigentlich gar nicht dabeihaben wollte in Cambridge; sie würde sich dort nur »an ihn hängen«, ihn bei seinen wichtigen Diskussionen mit Cecil stören und all die anderen Dinge tun, zu denen sie neigte.
    »Kommt doch alle zu unserer französischen Theateraufführung«, schlug Cecil vor.
    »Ja, vielleicht«, sagte Daphne, meinte jedoch, aus dieser allgemeinen Einladung unvermutet einen neuen Ton herauszuhören, den Ton einer allgemeinen Langeweile.
    »Was führen Sie denn auf?«, fragte ihre Mutter.
    »Den Dom Juan von Molière«, sagte Cecil, als müssten sie alle damit vertraut sein. Daphne wusste immerhin, worum es ging – einen Frauenhelden – ja, einen Schürzenjäger! »Ich gebe den Sganarelle, eine sehr schöne Rolle, allerdings habe ich viel Text zu lernen.«
    »Es wird auf Französisch gespielt«, sagte George, dem es damit sehr wirkungsvoll gelang, seine Schwester abzuschrecken, falls das seine Absicht gewesen war.
    »Ach, so«, sagte Daphne. »Ich glaube nicht, dass ich einem ganzen Theaterstück auf Französisch folgen kann.« Nur um Cecil, vermutlich mit Mantel und Degen, auf der Bühne herumstolzieren zu sehen, schien ihr die Mühe nicht wert. Gleichzeitig gab ihr der Gedanke, es zu verpassen, sofort einen Stich ins Herz.
    »Das ist ja wunderbar«, sagte ihre Mutter gnädig von oben herab, entschuldigte sich jedoch im selben Atemzug.
    Etwas später, als wären sie unter sich, sagte Cecil zu George: »Ich muss kommende Woche unbedingt an meinem Aufsatz über Havelock weiterschreiben«, sodass Daphne das deutliche Gefühl bekam, dass er sie bereits verlassen hatte, vielleicht sogar lieber schon heute nach dem Lunch aufgebrochen wäre.
    Nach dem Abendessen wurde George mit einem Auftrag, den er eindeutig als unter seiner Würde empfand, zu den Cosgroves geschickt; Hubert gab vor, Briefe schreiben zu müssen, und ihre Mutter entschwand in den Salon, blieb stehen, hob den Zeigefinger und machte auf dem Absatz wieder kehrt. Cecil und Daphne standen für ein paar Minuten allein auf dem Kaminvorleger, für Daphne die Schwelle zum »erwachsenen« Ausklang des Abends, verbunden mit gesellschaftlichen Erwartungen, die ihr nicht geläufig waren.
    »Unser Grammofon wollen Sie wohl nicht noch mal hören«, sagte sie. Sie witterte ihre Chance, der nur die neuerliche Befürchtung, sie könne Cecil langweilen, entgegenwirkte.
    »Nicht unbedingt«, sagte er beiläufig, doch freundlich, mit einem Lächeln, das sie noch nicht an ihm kannte, einem herzlichen Glotzen, das sie leicht verwunderte

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