Fremden Kind
– wahrscheinlich doch wieder nur so eine typische Cambridge-Geschichte: Es war schwer auszumachen, aber in Cambridge galt die Respektlosigkeit, jederzeit sagen zu dürfen, was man dachte, anscheinend gerade als ein Zeichen besonderen Respekts. Offenheit war schließlich ihre Devise! Cecil tastete seine Westentasche ab und zog dann seinen kleinen Zigarrenan schneider hervor. »Möchte Miss Sawle mir bei meinem Rauch vergnügen vielleicht Gesellschaft leisten?«
»Oh, ja!«, sagte Daphne, »ich hole einen Mantel«, und lief zu der Garderobe unter der Treppe. Die Idee war so hinreißend, dass es unweigerlich triftige Gründe gab, die dagegensprachen. Aber das machte gerade Cecils Aura und Anziehungskraft aus. Sie kehrte nicht mit ihrem eigenen Mantel zurück, sondern mit einem von Georges alten Tweedjacketts, leger um die Schulter gelegt. Sie liebte solche Maskeraden, ein Herrenjackett schien deutlich zu machen, dass sie Lust auf ein kleines Abenteuer hatte, gleichzeitig war es ein galanter Hinweis auf ihre Schutzbedürftigkeit. »Es müffelt ein bisschen«, sagte sie, obwohl sie sich kaum vorstellen konnte, dass Cecil das stören würde.
»Ich werde gleich auch ordentlich müffeln.«
»Allerdings.«
»Vielleicht bin ich ein bisschen zu feinfühlig«, sagte Cecil mit einem Blick zur Tür. »Der General hat was gegen das Rauchen. Zu Hause verdrücken wir uns immer ins Rauchkabinett. Dank ihr ist es nur noch ein heimliches Vergnügen.«
»Nein, nein«, sagte Daphne.
Cecil zog ein Zigarrenetui aus einer verborgenen Tasche. »Ich habe zwei Zigarren, falls Sie noch mal in Versuchung geraten sollten.« Er öffnete den Lederschaft und zeigte ihr die beiden Köpfe. Sie musste an Soldaten denken und an die Patronen in Huberts Gewehr, hielt es aber für origineller, nicht zu antworten, und ihr herablassendes Lächeln schien ihn zu amüsieren. Sie wusste, dass sie ihre Mutter um Erlaubnis fragen sollte, doch bei dem Gedanken an die vielen Einwände seufzte sie und folgte Cecil in den Garten, ließ aber die Terrassentür angelehnt.
Es war erheblich kälter als am Abend zuvor, aber das wollte sie lieber nicht kommentieren. »Ich glaube, ich werde Sie immer mit In Memoriam in Verbindung bringen!«, sagte sie.
»Tja …« Cecil hielt umständlich ein brennendes Streichholz und gab unduldsame genießerische Laute von sich, als er an der Zigarre zog. Im Nu waren sie von der herbeigezauberten Rauchwolke eingehüllt.
»Sollen wir uns hier hinsetzen?«
»Lassen Sie uns lieber weitergehen«, sagte Cecil und führte sie an den Wohnzimmerfenstern vorbei. »Wir schauen mal, was die Sterne heute Abend so treiben, ja?«
»Gut«, sagte Daphne und schob eine Hand in seine hingehaltene Armbeuge. Abgesehen von anderen Eigenschaften, hatte Cecil etwas durch und durch Korrektes an sich; vielleicht war er sich ihrer Freude am Schauspielern, als sie im Dunkeln den Kopf zurückwarf und seinen Arm nahm, gar nicht bewusst. Dann rutschte Georges lose auf ihren Schultern ruhende Jacke zu Boden.
»Moment, ich helfe Ihnen.« Im dämmrigen Licht, am Rand des Rasens, hielt Cecil ihr die Jacke hin und klopfte ihr, als sie hineingeschlüpft war, auf die Schultern.
»Ich muss aussehen wie ein Landstreicher«, sagte sie; die Ärmel reichten ihr bis über die Hände, das Seidenfutter fühlte sich auf den bloßen Armen im ersten Moment kalt an, das Gewicht und der Geruch des Kleidungsstücks hingen schwer an ihr.
»Knöpfen Sie es zu«, sagte Cecil, die Zigarre zwischen den Zähnen. Wieder umsorgten sie seine großen Hände, größer und geschickter denn je. Dann bot er ihr erneut seinen Arm an.
Sie gingen gemächlichen Schrittes, Daphne zufrieden in ihrer Befangenheit, Cecil eine Spur reserviert, obwohl sie seine Miene nicht zu deuten vermochte, vielleicht versuchte er nur, die Sternbilder zu erkennen. Sie fragte sich, ob er wieder an die Hängematte dachte, und war gleichzeitig peinlich berührt, dass sie selbst daran dachte, nach allem, was passiert war. Sie wusste, dass er drei, vier Gläser Wein getrunken hatte, Entscheidungen kämen ihm also leicht, mochten sie einem nüchternen Menschen auch nur wunderlich und verzögert erscheinen. Sie sah nach oben, über die Baumwipfel hinweg in den Himmel. »Es ist zu bewölkt heute Abend, Cecil«, sagte sie.
Cecil stieß die nächste Wolke aus dickem, herbem Rauch in die Abendluft und krächzte leise. »Haben Sie sich heute Nachmittag lange im Wald aufgehalten?«, fragte er.
»Heute Nachmittag? Nein,
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