Fremden Kind
Ratte?«
»Nein, Daddy«, sagte Wilfrid leise und konnte es kaum fassen, dass nun ein Gedicht folgen sollte, hatte aber auch Bedenken, was den Inhalt anging.
»Also …«, sagte Dudley. »Der Oberst stand da, mit ge sträubtem Haar, sein Gesicht, es war vor Schrecken starr.«
Wilfrid lachte, wenn nicht über den Inhalt, dann jedenfalls über die Miene, die sein Vater dabei machte; auch Schreckliches konnte lustig sein. »Ach, mein Frätzchen«, sagte Daphne, »knittelt Väterchen wieder Verse für dich?«
»Keine Knittelverse, Duffel«, sagte Dudley, der bei so viel Alliteration ein Prusten unterdrücken musste, »das ist Skeltonisch, und es geht auf die Zeit König Heinrichs VIII. zurück. Skelton war Poeta laureatus, falls du dich erinnerst.«
»Oh, in dem Fall«, sagte Daphne.
»Also wenn ich dir kein Gedicht aufsagen soll …«
»Doch, Daddy!«, sagte Wilfrid.
»Dein Onkel Cecil war ein berühmter Dichter, aber ich bin in der Hinsicht auch nicht gerade untalentiert, nur wissen das die meisten Leute nicht.«
Daphne sah zu Louisa, die stoisch blickte, als wären ihr der eigene Sohn und der Enkel gleichermaßen unbegreiflich.
»Ich weiß, Daddy«, sagte Wilfrid, der sehnsuchtsvoll neben seinem Vater stand, als wollte er ihm gleich eine Hand aufs Knie legen.
4
N ach dem Frühstück am nächsten Morgen betrat Daphne das Kinderzimmer, als Mrs Copeland die Kinder gerade für einen Spaziergang fertig machte. »Nein, Wilfrid, nicht die weiße Hose, die spritzt du dir ja doch nur mit Matsch voll.«
»Du meinst, ich spritze mich heute mit Matsch voll, Nanny.«
»Wir wollen zur Pritchetts-Farm«, sagte Corinna und zuckte stoisch, als Mrs Copeland ihr ein Gummiband über das Haar streifte.
»Lassen Sie nur, Nanny«, sagte Daphne. »Ich kümmere mich schon selbst um die Kinder. Wir haben heute einen Fotografen im Haus.«
»In der Tat«, sagte das Kindermädchen eine Spur ge kränkt, lächelte beflissen und begutachtete ihre Schützlinge mit einem strengen Blick. »Dann kommen wir also wieder in die Zeitung?«
»Wir ja, du nicht«, lag es Daphne auf der Zunge, doch sie beließ es bei dem Satz: »Ich glaube, es ist einer vom Sketch .«
Mrs Copeland zog Corinnas Haare noch etwas straffer. »Meine Schwester in London hat mir Sir Dudleys Foto aus der Daily Mail geschickt.«
»Heutzutage gehört Publicity zum Leben eines erfolgreichen Schriftstellers einfach dazu!«, sagte Daphne. »Nein, lass die Hose ruhig an, Frätzchen – wir sitzen ja nur im Garten.«
Wilfrid sah seine Mutter mit umwölkter Stirn an, blieb aber tapfer, wandte sich dann ab und ging zum Fenster, als wäre ihm plötzlich etwas eingefallen, was es draußen zu sehen gäbe. »Der Farmer hat Wilfrid versprochen, ihm heute das neue Fohlen zu zeigen«, sagte Corinna mitleidig, beinahe hämisch, »und die kleinen Küken im Brutkasten«, ergänzte sie, doch die seltsame Ansteckungskraft von Kummer hatte bereits gewirkt, und als jetzt vom Fenster her ein Schluchzen aufstieg, verlor auch sie die Fassung, was für sie noch schlimmer war, bedeutete es doch einen Statusverlust. Sie machte keine Geräusche, widmete sich der Reisetasche ihrer Puppe jedoch mit verquollenem Gesicht und stopfte ihr Strickjäck chen und das Sonnenschirmchen hinein.
»Oh, willst du Mavis mitnehmen, Darling?«, fragte Daphne, und Corinna nickte heftig, wagte aber nicht zu antworten.
»Oje, oje!«, sagte das Kindermädchen selbstzufrieden.
»Nicht weinen, Wilfie«, sagte Daphne und stellte sich das neue Fohlen vor, wie es sich an seine Mutter schmiegte und sich dann in seinem Freiheitsdrang, unsicher noch, losriss. Sie wappnete sich und fuhr fort: »Du willst doch nicht mit so einem fleckigen Gesicht in die Zeitung.«
»Ich will überhaupt nicht in die Zeitung«, brauste Wilfrid auf, den anderen noch immer den Rücken zugekehrt.
Daphne hatte Verständnis und versuchte ihn zu trösten. »Wie kannst du nur so etwas sagen, mein Frätzchen? Du wirst berühmt. Denk doch nur, zusammen mit dem Hund Bonzo in einer Zeitung! Ganz England wird sich fragen«, sie lief zu ihm, packte ihn, riss ihn mit einem Aufstöhnen und leichten Taumeln angesichts des Gewichts des Sechsjährigen hoch: »Was hat dieser kleine Junge für ein Glück?«
Wilfrid ärgerte diese Vorstellung anscheinend noch viel mehr als der Verzicht auf das matschige Vergnügen.
Draußen, zwischen dem Heckenlabyrinth und den orna mentalen Rasenstücken im Blumengarten, fiel Daphne auf, dass sich seine Stimmung aufhellte,
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