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Fremden Kind

Fremden Kind

Titel: Fremden Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Hollinghurst
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aufhalten.«
    »Oh …! Sie haben mich nicht aufgehalten.« Vielleicht hatte sie ihn ja doch aus dem Konzept gebracht, und er hielt sie für oberflächlich.
    »Was Sie noch für mich tun könnten«, sagte Sebby umständlich, »ist Folgendes: den lieben Cecil einfach in ein paar Sätzen zu skizzieren und vielleicht noch ein, zwei Anekdoten beizusteuern. Ein kleines Erinnerungsbild.«
    »Ein Erinnerungsbild, ja.«
    »Wenn ich dann noch aus den Briefen zitieren dürfte …« Kurz witterte sie seine Ungeduld, die sachliche Logik selbst des schmeichelhaftesten Diplomaten. Sie durfte nicht vergessen, dass ihn im Moment sicher noch weitaus dringendere Fragen beschäftigten als diese.
    »Ich denke, das ist nur recht.«
    »Ich werde Sie einfach Miss S. nennen, falls Sie keine Einwände haben«, sagte er, und nachdem kurz Zorn in ihr aufgeflammt war, stellte sie fest, dass sie keine Einwände hatte. »Und jetzt möchte ich Sie bitten, ›Two Acres‹ noch mal mit mir durchzugehen, vielleicht können Sie mir hier und da noch einige Hinweise geben, lokale Details, solche Dinge. Ich wollte Ihre Mutter nicht bedrängen.«
    »Oh, gewiss doch«, sagte Daphne mit einem kruden Gefühl der Erleichterung und Enttäuschung, dass Sebby es versäumt hatte, auch sie zu bedrängen – aber so war es nun mal, natürlich, jetzt erkannte sie es deutlich, und es war gut, dass sie keine Zeit darauf verschwendet hatte: Sebby hatte in diesen »Porträt« genannten Memoiren überhaupt nichts zu melden, Louisa war seine Lektorin, praktisch die Herausgeberin, und dieses für »Recherche« reservierte Wochenende – bei aller Traurigkeit und Pikanterie und den interessanten Peinlichkeiten – war eine reine Farce. Er nahm das Poesiealbum zur Hand, dessen malvenfarbiger Seideneinband von Hunderten schmutziger Hände faltig und fleckig geworden war, und blätterte behutsam darin. Kein Zweifel, auch für ihn musste noch etwas an deres im Spiel sein, ohne einen triftigen per sönlichen Grund würde ein so beschäftigter Mann wie er sich diese Mühe nicht machen. Auch Sebby hatte Cecil sehr gerngehabt. Geistesabwesend fiel ihr Blick auf die Schnitzereien an der Vorderkante des Bücherregals unmittelbar neben ihr und das Buntglasfenster dahinter. Das grelle Aprillicht, das im Frühstückszimmer das Feuer zu ersticken drohte, warf hier schräge Streifen und bunte Flecken an die Wand gegenüber und den weißen Marmorkamin. Sie tauchten die Marmorbüsten von Homer und Milton in Pink, Türkis und Butterblumengelb. Es war, als würden die Farbflecken, die mit dem Licht weiterwanderten und sich ausdehnten, die beiden Herren wärmen und zärtlich streicheln. Sie sah Cecil vor sich, bei seinem letzten Urlaub, als sie ihn damals an jenem heißen Sommerabend getroffen und den Eindruck gehabt hatte, er komme geradewegs von einem Essen mit Sebby. Aber gut, das sollte er niemals erfahren. Vorläufig musste sie sich etwas Angemesseneres für ihr »Erinnerungsbild« einfallen lassen, etwas, was bereits irgendwo geschrieben stand, wie ihr Gefühl ihr sagte, und was sie nur zu suchen und zu wiederholen brauchte.

7
    F reda durchquerte die Halle und stieg die Haupttreppe hinauf, hielt vor jeder furchterregend blank gebohnerten Stufe inne und streckte die Hand nach dem Geländer aus, das, im elisabethanischen Stil, eher einer Mauerkrone glich und viel zu breit war, als dass sich daran jemand hätte festhalten können. Es musste schön sein für Daphne, ein eigenes Wappen zu haben, dachte sie; an jedem Absatz prangte es einem entgegen, in den Klauen eines wilden Tiers mit einer La terne auf dem Kopf. So etwas hatte sie sich für ihre Tochter erträumt, anfangs, als sie noch nicht wusste, was sie jetzt wuss te. Corley Court war ein abweisender Ort; selbst in der Abgeschiedenheit ihres Zimmers lösten die dunkle Vertäfelung und der gotische Kamin das Gefühl in ihr aus, in einer Falle zu sitzen; sie hatte Angst, etwas Unmögliches könnte von ihr verlangt werden. Sie schloss die Tür hinter sich, schritt über den schier endlosen, abgewetzten purpurroten Teppichläufer und ließ sich vor der Frisierkommode nieder. Sie war den Tränen nahe, verwirrt, erleichtert, unzufrieden mit sich, weil sie Se bastian Stokes nichts gesagt hatte, kein Wort von all dem, was sie hätte sagen können und, wie sie im Grunde ihres Herzens bereits im Voraus gewusst hatte, doch nicht sagen würde.
    Den einzigen Brief, den sie ihm gezeigt hatte, ihr Witwen-scherflein, wie sie es nannte, war ein

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