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Fremden Kind

Fremden Kind

Titel: Fremden Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Hollinghurst
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Ferien.«
    »Ja, sehr gerne«, sagte Freda, drückte George ein wenig an sich und warf Madeleine einen schüchternen Blick zu. Es war ihr ein Rätsel, eine der zahllosen großen Ausflüchte, deren Nichtigkeit ihr Leben füllte, dass sie diese Fahrt nicht schon längst unternommen hatten.
    In der Halle trennten sie sich, und sie ging hinauf in ihr Zimmer, erneut den Tränen nahe, ganz in Anspruch genommen von dem Gedanken an Hubert. Eigentlich hätte sein Tod alle anderen kleinen Sorgen in ein angemesseneres Verhältnis rücken müssen. Der große Schmerz über den Verlust wurde noch verstärkt durch etwas, was sie leise empörte, und es be traf Louisa. Irgendwann, wenn sich die Gelegenheit bot, musste sie endlich mal mit ihr über Hubert sprechen und sie ganz förmlich bitten anzuerkennen, dass auch ihr, Freda, das Schlimmste widerfahren war. Dass Huey weder intelligent noch attraktiv war, Lytton Strachey nicht gekannt und auch nie ein Sonett geschrieben oder einen höheren Gipfel als den Wipfel eines Apfelbaums erklommen hatte – all das wurde sie jedes Mal genötigt zu akzeptieren, sobald Cecils Name Louisa gegenüber selbst nur flüchtig erwähnt wurde. Sie nahm ihren Hut ab, setzte sich und widmete sich auf recht rabiate Weise ihrer Frisur.
    Sie wusste, es war sinnlos, herzlos, Louisa den Trost zu missgönnen, zum Schluss an Cecils Seite gewesen zu sein, und dass der lange Arm der Aristokratie bis jenseits des Ärmelkanals reichte und sie Cecil nach Hause holen konnte, während Zehntausende anderer dazu verurteilt waren, bis zum Jüngsten Tag dortzubleiben. Laut Daphne war das der Grund, warum die alte Dame sich weigerte, aus dem großen Haus auszuziehen; sie wollte dort bleiben, wo sie ihren Sohn jeden Tag besuchen konnte. Freda stellte sich wieder Huey bei seinem letzten Urlaub auf Two Acres vor, und jetzt kamen ihr tatsächlich die Tränen und sie legte den Kamm beiseite und nestelte im Ärmel nach ihrem Taschentuch. In den Briefen, die sie nach seinem Tod bekommen hatte, war von einem Wald die Rede gewesen, in dem er beim Versuch, einen dort versteckten MG -Posten einzunehmen, gefallen sei: im Wald von Ivry. Immer wieder in den Wochen danach hatte sie hinaus in die Landschaft geblickt, die zu ihrem bescheidenen Besitz gehörte, ihr eigenes kleines Birkenwäldchen, und immer der zermürbende Gedanke, dass Huey nie wieder einen Fuß dort hineinsetzen würde. Unmöglich zu begreifen, damals, am Tag, als die Nachricht kam, dass Huey bereits unter der Erde war, in Frankreich begraben, mitten im Granatfeuer, mit einer Lesung aus der Offenbarung, wie man ihr mitgeteilt hatte. Beiseitegeschafft für immer, einfach so. Wenn sie daran dachte und sich den Wald von Ivry vorstellte, sah sie, in Ermangelung eines Besseren, ihr eigenes Gehölz nach Nordfrankreich versetzt, und Huey, der hineinrennt, in die wahllos abgefeuerten Gewehrsalven.
    Später war er umgebettet worden, sie hatte Fotos vom Grab und der Beisetzung. Ein Padre in weißem Chorhemd, unter einem Schirm, Männer feuern Salutschüsse ab. Jetzt endlich würde George mit ihr und vielleicht auch Daphne hinfahren, alle drei nach Frankreich, um sich das Grab anzusehen. Sie war erst einmal im Ausland gewesen, vor dem Krieg, als sie und Clara nach Bayreuth gepilgert waren; zwei Witwen auf einer schmutzigen Fähre und dann in stickigen Zügen voller deutscher Soldaten, die im Nachbarwaggon san gen. Der Gedanke an diese neuerliche Reise, an die entschlossene Annäherung an den Ort, schnürte ihr die Kehle zu.

8
    A ls Daphne sich für den Abend umkleidete, kam Dudley in ihr Zimmer geschlendert und sagte, ein Gähnen unterdrückend, er hoffe sehr, Revel habe nichts gegen Mark Gibbons. »Oh«, antwortete Daphne leicht verwundert, doch eher in Sorge um das Dinner und die Tücken der Sitzordnung, die ihre Fähigkeiten als Gastgeberin immer besonders herausforderte, »ich glaube, Revel kommt mit jedem gut aus.« Sie streifte sich den cremefarbenen Petticoat über den Kopf und strich ihn glatt; es machte ihr Freude, in so einem Moment seinen Namen zu hören. Sie würde Revel in ihrer Nähe platzieren, wenn auch nicht direkt neben sich. Zu Dudleys Rechter musste natürlich seine Mutter sitzen, Clara konnte sie gefahrlos zwischen den beiden verstauen – aber wen sollte sie ihm dann an die linke Seite geben? Eva oder Madeleine? Lieber würde sie ihm Madeleine aufbürden. »Es gibt doch auch keinen zwingenden Grund, warum sie sich begegnen sollten, oder?« Es stellte sich

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