Fremden Kind
jedoch heraus, dass er Mark bereits zum Dinner eingeladen hatte, ebenso Flora und die Strange-Pagets – mit der Begründung, dass »wir sie seit Urzeiten nicht gesehen haben«.
»Verdammt, Dudley, warum hast du mir das nicht vorher gesagt!«, brauste Daphne auf. »Und dann auch noch die S-Ps! Ausgerechnet …!« Sie ertappte sich, als sie kurz in den Spiegel sah, hilflos in Unterwäsche, in Strümpfen, doch ihre Panik schien Dudley, vor der gleißenden Weite des Hintergrunds, nur zu amüsieren. Sie dachte in erster Linie an die Langusten, die schon für Revel kaum reichen würden.
»Oh, Duffel …«, sagte Dudley und betrachtete missbilligend die Jettknöpfe an seinem Hemd. »Mark ist ein wunderbarer Maler.«
»Mark kann von mir aus ein Genie sein«, sagte Daphne und beeilte sich mit ihrem Kleid, »aber essen will auch er.«
Dudley wandte sich ihr mit der unbeständigen Mischung aus Nachsicht, freundlicher Verwunderung und spöttischer Abneigung zu, die sie schon an ihm kannte, die sie fürchtete und die sie rasend machen konnte. »Denk dran, Duffel, Flora ist Vegetarierin«, sagte er. »Wirf ihr ein paar Nüsse und eine Apfelsine zum Fraß vor, und sie ist fidel wie eine Sau im Schlamm.« Er setzte sein breitestes Lächeln auf und bleckte dabei seine feuchten scharfen Eckzähne, eine jäm merliche Drohung, so grässlich wie seine Gossensprache. Daphne überlegte, dass es besser wäre, persönlich mit der Kö chin zu verhandeln: Daraus würde wohl eine ihrer gefürchteten Ansagen werden, die in Wahrheit nur schlecht verhohlene Bitten waren.
Mark Gibbons, der das große, abstrakte »Gefängnis« im Salon gemalt hatte, lebte mit seiner Freundin Flora, einer Halbdänin, auf einer Farm in der Nähe von Wantage. Daphne konnte ihn gut leiden, wenn sie auch noch immer Angst vor ihm hatte. Er und Dudley hatten sich in der Army kennengelernt, eine seltsam innige Verquickung von Gegensätzen, wie ihr schien, Mark war Sozialist und der Sohn eines kleinen Ladenbesitzers. Er zeigte wenig Interesse, Flora irgendwann zu heiraten, noch weniger Wert legte er auf Abend garderobe, was Daphnes unmittelbare Sorge war, denn Louisa würde sich zum Dinner einfinden, und Colonel Fountain, Cecils ehemaliger vorgesetzter Offizier, aus Aldershot herüberkommen. Während sie die Hintertreppe hinunterrannte und dabei zwei Stufen auf einmal nahm, sah sie ihre Sitzordnung bereits in einem Wust aus Unverträglichkeiten untergehen, in dem ihre Schwiegermutter und ihr Mann die sich abstoßenden Magnete bildeten. Wenigstens die Strange-Pagets, ein langweiliges, schon etwas betagtes Paar mit viel Geld und eigenem Landsitz am anderen Ende von Pusey, wären einfacher zu handhaben. Dudley kannte Stinker Strange-Paget seit seiner Kindheit, war unerschütterlich loyal ihm gegenüber und behandelte seinen dumpfen provinziellen Klatsch wie Spruchweisheiten.
Sebby Stokes kam als Erster nach unten, und Daphne, die kurz im Salon vorbeischaute, um sich einen Gin & Lemon zu mixen, geriet unfreiwillig in ein oberflächliches, sich minutenlang hinziehendes Gespräch mit ihm, aber schon nach dem ersten Schluck breitete sich ein warmes Gefühl der Erleichterung in ihr aus. Ihre Unterhaltung am Nachmittag in der Bibliothek war wie ein bunter Schatten, der Versuch einer Annäherung, der sich nicht wiederholen würde. Sie setzte sich an einen Fensterplatz und sah hinaus auf die mit Kies bedeckte Einfahrt, wo jeden Augenblick Autos eintreffen würden. Sie hatte getan, was sie konnte, jetzt musste sie sich entspannen. Sebby redete anscheinend noch immer über Cecil, der schließlich Anlass für diese Gesellschaft war, wie sie für kurze Zeit vergessen hatte. Aber würde es ihnen nicht allen so ergehen? Würde man nicht vor lauter Beschäftigung mit anderen Dingen das Gedenken an ihn vergessen? »Ich habe die Briefe gelesen, die Ihre Schwiegermutter von Cecils Männern erhalten hat.«
»Sind sie nicht prachtvoll?«, sagte Daphne.
»Mein lieber Mann! Sie haben ihn geliebt!«, sagte Sebby. In ihren Ohren schwang da ein merkwürdiger Unterton mit. Sie sah Sebby an, der steif vor ihr stand, mit Glas und Zigarette, der Inbegriff guten Benehmens, und wieder hörte sie heraus, was sie heute Nachmittag bereits erahnt hatte, dass nämlich er ihn geliebt hatte und für seinen guten Namen alles tun würde.
»Wir haben nach dem Tod meines Bruders auch prachtvolle Briefe bekommen«, sagte sie leise, etwas boshaft. »Solche Briefe fallen vermutlich immer prachtvoll aus, nicht
Weitere Kostenlose Bücher