Fremden Kind
auf der Bettkante nieder. Sein breites Gesicht war wie eine weichgezeichnete Karikatur seines Vaters, nur Mund und Augen. Sie dachte an Dudley vorhin im Kuhkorridor, wie er sie geküsst hatte, und dass alles, was sie über ihn wusste, von diesem Kind ferngehalten werden musste, ihrem Kind, das mit leerem Gesicht dalag, eine Wange im Schatten, die andere im Schein der Nachtlampe. Eigentlich wollte sie nicht an ihren Mann denken, doch sein Kuss schwelte weiter auf ihren Lippen. Sie strich über das umgeschlagene Laken, zog es glatt, strich erneut darüber. Dudley hatte so eine Art, einen in die Falle zu locken, das Gewissen heimzusuchen, und oft waren seine verrücktesten Anwandlungen reine Taktik. Und dann war er natürlich bemitleidenswert, verwundet, gehetzt – alles zusammen. Wilfrids Kopf zuckte, seine Augenlider klappten auf und wieder zu, er wälzte seinen Körper in einem plötzlichen Aufbäumen auf die rechte Seite, zwei Sekunden später wieder zurück, murmelte wütend vor sich hin und legte sich auf die andere Seite. Er litt unter schlechten Träumen, die er seiner Mutter manchmal lang und breit schilderte, Beschreibungen ohne jede Struktur, mit großem komischem Ernst vorgetragen, zu langweilig, um nicht nur so zu tun, als höre man zu. Er behauptete, er träume von Sergeant Bronson, was Daphne bedauerlich fand und ein wenig eifersüchtig machte. Sie beugte sich über ihn, umspannte ihn mit ihren Armen, als wollte sie ihn bergen und für sich behalten, ihm deutlich machen, dass er bei ihr gut aufgehoben war. »Onkel Revel«, sagte er, plötzlich gesellig.
»Hallo, mein Freund!«, flüsterte Revel, lachte ihn an und setzte Roger wohlbehalten neben das Kissen. »Wir wollten dich nicht wecken.«
Wilfrid sah ihn mit bedingungsloser Zustimmung an, dann schlossen sich seine Augen wieder, er schluckte und schob die Lippen vor. Man konnte zuschauen, wie der zufriedene Gesichtsausdruck verblasste und wieder zu einer weichen, einfältigen Maske wurde.
»Siehst du, wie er dich bewundert«, sagte Daphne in einem beinahe anklagenden Ton, einem atemlosen Lachen. Sie starrte Revel über den Kopf des Jungen hinweg an. Sein entspanntes Lächeln gab ihr zu denken, und sie stellte sich die nüchterne Frage, ob er nur mit ihr spielte. Revel ging zum Tisch, zog das Kinderstühlchen heran und setzte sich mit angezogenen Knien darauf. Zum Spaß tat er so, als lebte man immer ein Leben in dieser Größenordnung. Leicht erheitert sah sie ihm zu. Der Schein des Nachtlämpchens betonte sein Gesicht, während er rasch eine Zeichnung anfertigte. Es war, als verharrte in seiner aufreizend konzentrierten Miene der allerletzte Moment eines Lächelns. Die Malkreide der Kinder benutzte er, als könnte sich ein Künstler nichts Besseres wün schen, und er ging meisterhaft damit um. Jetzt hatte sich Corinna mit einem lauten Schnarchgeräusch selbst geweckt, setzte sich auf und hustete hemmungslos.
»Was ist, Mutter?«, sagte sie.
»Pst, mein Liebling, schlaf weiter«, beruhigte Daphne sie zärtlich, aber auch etwas ungeduldig. Das Haar des Kindes war feucht und zerzaust.
»Nein, Mutter, was ist los?« Schwer zu sagen, ob sie verärgert oder nur verwirrt war, beim Aufwachen diese unerwarteten Gestalten in ihrem Zimmer vorzufinden.
»Pst, mein Liebling, es ist nichts«, sagte Daphne. »Onkel Revel und ich sind nur hochgekommen, um Gute Nacht zu sagen.«
»Onkel Revel ist gar kein richtiger Onkel«, sagte Corinna, und Daphne spürte, dass das Kind ihr nicht nur in diesem Punkt Unrechtes vorhalten konnte. Corinna besaß eine beängstigend kritische Ader, und eigentlich wollte sie damit sagen, dass ihre Mutter betrunken war.
Revel wandte sich auf dem Stühlchen zur Seite und blickte sie über die Schulter an. »Wir dachten, wenn wir ganz lieb fragen, bekommen wir vielleicht doch noch den Tanz zu sehen.« Das war keine gute Idee.
»Dafür ist es zu spät, viel zu spät«, sagte Corinna, als hätten sie die Rollen getauscht, als wären Revel und Daphne die Kinder und würden ihre Eltern um eine besondere Erlaubnis bitten. Sie stieg aus dem Bett und hopste durchs Zimmer nach draußen zur Toilette. Daphne befürchtete, sie könnte bei ihrer Rückkehr einen echten Aufstand machen und sich herausnehmen, das zu sagen, was sie dachte. Wenn sie alle sagen würden, was sie dachten …
Jetzt war Wilfrid durch den Lärm ein zweites Mal aufgewacht, mit einem lauernden Blick, wie ein Erwachsener, der vertuschen wollte, dass er eingeschlafen war.
Weitere Kostenlose Bücher