Fremder in einer fremden Welt
zu werden. Falls ich das jemals gewesen bin.«
»Mike glaubt, daß du diese >Unschuld< - er nennt es nicht so - in vollem Umfang besitzt. Dawn sagte es mir, und sie spricht ex officio.«
»Das ist eine sehr große Ehre. Ich möchte ihm diese Illusion nicht rauben. Mike sieht sein eigenes Spiegelbild - ich bin ein Spiegel von Beruf.«
»Jubal, du willst dich drücken.«
»Genau, Sir. Was mir am meisten Sorgen bereitet, ist die Frage, ob sie ihren Platz in dieser schlechten Welt finden werden. Oh, viele haben es schon in früheren Zeiten versucht. Die Welt hat auf sie reagiert, als ob sie eine Art Hautkrankheit wären. Sie hat sich so lange gekratzt, bis das Problem verschwunden war. Dies gilt zum Beispiel für die Urchristen - Anarchie, Kommunismus, Massenhochzeit -, sogar dieser Bruderkuß hat einen starken primitivchristlichen Geruch. Vielleicht hat Mike einen Teil seiner Ideen von dort. Die Rituale und Formen, die er verwendet, sind offen synkrethisch - ganz besonders dieses Ritual der >Mutter Erde<.« Jubal runzelte die Stirn. »Wenn er etwas von diesem primitiven Christentum aufgeschnappt hat - nicht nur von der Knutscherei mit Mädchen, die er, wie ich weiß, so sehr schätzt -, dann sollte es mich nicht wundern, wenn Männer auch Männer küssen.«
Ben rümpfte die Nase. »Das habe ich dir bis jetzt verschwiegen - genau das machen sie. Allerdings ist da kein schwules Verhalten. Mich hätten sie auch einmal fast erwischt, aber ich konnte rechtzeitig in Deckung gehen.«
»So? Das paßt ins Bild. Die Oneida-Kolonie war Mikes >Nest< sehr ähnlich. Sie überlebte eine ganze Zeit lang - allerdings in einer wenig bevölkerten Gegend und nicht in einem Ferienort. Es gab noch viele weitere, die alle dieselbe traurige Geschichte teilen. Sie besaßen einen Plan, um gerecht zu teilen und sich gegenseitig zu lieben. Sie hatten alle große Hoffnungen und hohe Ideale - das Ergebnis waren Verfolgung und schließlich ihr Versagen.« Jubal seufzte. »Ich habe mir schon früher Sorgen um Mike gemacht - jetzt sorge ich mich um alle.«
»Du machst dir Sorgen? Was glaubst du, wie ich mich erst fühle? Jubal, ich kann deine Theorie nicht akzeptieren. Was sie tun, ist falsch!«
»So? Ben, ich habe den Eindruck, daß du immer noch nicht diesen letzten Vorfall vergessen hast.«
»Nun. vielleicht hast du recht. Aber das ist es nicht allein.«
»Aber es ist die Hauptsache. Ben, die sexuelle Moral ist ein dorniges Problem. Jeder von uns ist gezwungen, nach einer Lösung zu suchen, mit der er leben kann - angesichts eines lächerlichen, nicht funktionsfähigen und bösen Codex sogenannter Morallehren. Die meisten von uns wissen, daß der Codex falsch ist, fast jeder bricht ihn. Aber wir zahlen Bußgelder, indem wir uns schuldig fühlen und Lippendienste leisten. Ob wir wollen oder nicht, der Codex beherrscht uns. Er hängt uns stinkend um den Hals wie ein toter Albatros.
Dir geht es auch nicht anders, Ben. Du bildest dir ein, ein Freigeist zu sein und diese falschen Gesetze zu brechen. Aber als du einem sexualmoralischen Problem gegenüberstandest, das dir neu war, hast du es unbewußt anhand dieses jüdischchristlichen Verhaltenscodex überprüft, den du bewußt ablehnst. Du hast dich automatisch danach gerichtet. und deshalb geglaubt - und du glaubst es immer noch -, daß dieser Reflex Beweis genug für dein >richtiges< und ihr >falsches< Verhalten sei. Pa! Das sagt nicht mehr als ein Verhör auf der Folter. Aus deinem Magen spricht nichts als das Vorurteil, das dir eingebleut worden ist, bevor du Verstand erworben hattest.«
»Und was ist mit deinem Magen?«
»Meiner ist ebenso dumm - aber ich lasse nicht zu, daß er mein Gehirn regiert. Ich sehe die Schönheit von Mikes Versuch, eine ideale Ethik zu ersinnen, und zolle seiner Erkenntnis Beifall, daß sie auf einem ideellen Sexualverhalten beruht. Dies bedeutet selbstverständlich radikale Änderungen in der sexuellen Moral, die die meisten Menschen verängstigen - dich eingeschlossen. Dafür bewundere ich ihn. Ich sollte ihn für die Philosophische Gesellschaft vorschlagen. Die meisten Moralphilosophen gehen - bewußt oder unbewußt - davon aus, daß der bestehende kulturelle Sexualkodex im wesentlichen korrekt ist - Familie, Monogamie, Enthaltsamkeit, das Postulat der Privatsphäre, das die Ursache deiner Probleme ist, die Beschränkung des Sexualverkehrs auf die Ehe und so weiter. Dies geht sogar so weit, daß sie sich mit solchen Einzelheiten beschäftigen, wie mit der
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