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Fremdes Licht

Fremdes Licht

Titel: Fremdes Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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spreizten sich zu einem Gestell, das zwei Stücke
Stoff aufspannte. Ondur steckte eine Faust zwischen die Zähne
– das Ding schwebte in Kniehöhe über dem Boden.
    Grax bückte sich unversehens und hob Ayrid rasch von ihrem
Lager. Ihr Bein tobte vor Schmerz, und sie schrie – aber nicht
bloß vor Schmerz, sondern auch vor Entsetzen: sie sah nur noch
den Barbaren vor sich, wie er von Grax in die Graue Mauer getragen wurde. Graxens Arme fühlten sich nicht wie Arme an
– es war Wroff, das sie umspannte – die harte,
durchsichtige Hülle, die Grax und seine Atemluft umgab. Ondur
sprang vor, doch bis sie bei Ayrid war und stockte, weil sie nicht
wußte, was sie als nächstes tun sollte, da hatte der Ged
seine Last schon in den Stuhl gesetzt – und das Wunder war
vollbracht.
    Ayrid saß auf einem der gespannten Stoffstücke, das
andere gab ihrem Rücken Halt. Die übrigen Röhren
umgaben das ausgestreckte Bein – ihr gebrochenes Bein; die
Schmerzen waren wie weggeblasen.
    »Wie…«
    »Dein Bein ruht in einem Ladungsfeld«, sagte Grax.
»Es befindet sich nicht in derselben… Raum-Zeit wie dein
Hirn. Deshalb spürst du keinen Schmerz.«
    Ayrid starrte erst den Ged verständnislos an, dann ihr Bein.
Eine kaum sichtbare Schicht umgab das Bein; das war nicht die
schimmernde Schicht, die auf den Wroffwänden lag, das sah eher
wie eine leichte Verdickung der Luft aus, wie ein durchsichtiger
Nebel.
    »Das ist eine Art Kraft, die ein bißchen schwerer zu
verstehen ist als Elektrizität«, erklärte Grax.
»Dieselbe Kraft, die dein Bein hält, trägt die
Gedschiffe von einer Welt zur anderen. Die Maschine, in der du sitzt,
gibt es nur einmal in R’Frow, nur einmal auf Quom. Ich will dir
zeigen, wie man sie bewegt.«
    Er zeigte ihr, wie sie mit der linken Hand die schwarze
eiförmige Schwellung zu drücken hatte. Der Stuhl bewegte
sich vorwärts, bewegte sich zur Seite, beschrieb einen
behäbigen, perfekten Bogen. Ondur drängte sich
rücklings an Karim.
    Und von allen Gedanken, die Ayrid durch den Kopf hätten gehen
können, tat es ausgerechnet dieser eine: Aber ich bin
Rechtshänder.
    Fast im selben Moment wurde ihr bewußt, wie dumm, undankbar
und kurzsichtig dieser Gedanke war. Und dann bekam sie es
plötzlich mit der Angst zu tun, derselben wie damals in der Grauen Mauer, als die Stabmagnete aufeinander losgegangen
waren und sie die Stäbe für fremde, gefräßige
Tiere gehalten hatte. Doch diese Angst währte nur einen
Augenblick. Das war eine Maschine, eine Erfindung der Geds, eine
Ausnutzung von Zwängen, die so natürlich waren wie das
Sonnenlicht, das man auch erst zu sehen bekam, wenn die Zeit der
Finsternis zu Ende war und der Frühmorgen graute. Das war keine
Zauberei. Das war keine Zauberei.
    Ayrid ließ die Hände über die Armlehnen gleiten
und verpaßte die Lauschmiene, mit der Grax SaSa betrachtete,
die still und steif in der Ecke lag. Karim zog sein Kugelrohr.
    »Das ist nichts weiter als ein Stuhl für
Verwundete«, sagte Grax samtweich. »Du brauchst keine Angst
zu haben. Sieh nur. Sie kann sich damit bewegen.«
    Ondur berührte Karim mit dem Handrücken. »Er hat
recht«, sagte sie und fragte sich, ob sie nicht vorschnell
urteilte.
    Grax sagte: »Der Stuhl kann sich nicht die Leiter hinunter
bewegen. Hinunter mußt du getragen werden. Wenn du dabei im
Stuhl bleibst, kannst du nicht nur die Schmerzen vermeiden, sondern
auch eine Verschiebung des Knochens, den der jelitische Heiler
gerichtet hat.«
    Ayrid hörte auf, den Stuhl zu bewegen. Heiler. Sagte
er das nur so und meinte die junge Kriegerpriesterin, oder hatte er
irgendwie mitgekriegt, daß Dahar den Knochen neu gerichtet
hatte? Der glühende Kreis neben der Tür war zugeklebt, aber
es gab noch die Kreise im Flur und an der Leiter, an denen Dahar
vorbeigemußt hatte. Sie mußte das jetzt
wissen.
    »Grax, ich freue mich über den Stuhl. Die
Gedwissenschaft hat großartige Heilmethoden. Willst du mal
nachsehen, ob mein Knochen gut gerichtet ist?«
    Ein kurzes Schweigen: er lauschte in seinen Helm hinein.
    »Der Knochen ist gut gerichtet. Die Gedmedizin könnte
ihn nicht sorgfältiger richten, als es der Heiler getan
hat.«
    Darauf bedacht, das dritte Wort nicht zu betonen, sagte Ayrid:
»Dann hat sie ihre Sache also gut gemacht? Ich werde später
nicht hinken?«
    »Du wirst nicht hinken.«
    »Woher weißt du das so genau?«
    »Der Ged, der die Heilkunst der Menschen studiert, hat sich
den Knochen angesehen.«
    »Ein Ged hat sich meinen Knochen

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