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Fremdes Licht

Fremdes Licht

Titel: Fremdes Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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kamen, testete nie ein Antitoxin. Er lungerte nur herum und sah
ihnen zu. Tey war einfach nur da, dachte Ayrid, weiter nichts. Sie
glaubte nicht, daß er wirklich an dieser neuen Gedmethode
– dem systematischen Experimentieren – interessiert war,
und sie hatte sich schon gewundert, warum er sich die ganze Zeit hier
herumtrieb – aber dann war sie ihm auf die Schliche gekommen:
Eine Krankheit, die in R’Frow entstanden war, würde nach
dem einen Jahr nicht in R’Frow bleiben. Wenn dann nicht alle
Erkrankten gründlich auskuriert waren, würden sie die
Bakterien nach Delysia und Jela verschleppen. Und da versprach ein
wirksames Heilmittel das große Geschäft.
    »Und wenn wir«, schlug Krijin vor, »die Säure
nun soweit verdünnen, daß gesundes Gewebe nur
vorübergehend darunter leidet – daß es sich wieder
davon erholt? Wieviel…« – sie suchte nach Worten
-»wieviel Säure ist zuviel?«
    Dahar sagte nachdenklich: »Aber wie sollen wir das testen?
Wir können testen, was die Säure mit den Bakterien macht,
aber nicht, was sie mit gesundem Gewebe macht, oder man
müßte gesunde Haut damit bestreichen.«
    Tey sagte mit seiner melodischen Stimme: »Und ich dachte,
Kriegerpriester verdanken solchen Experimenten ihren guten
Ruf.«
    Dahar bekam rote Ohren. Ayrid bemerkte, wie seine Hand
unwillkürlich zum Gürtel zuckte, und wie sehr er sich
beherrschte. Er biß die Zähne zusammen und warf Grax einen
Blick zu. Grax erwiderte den Blick auf seine ruhige, ungerührte
Art, und Dahars Kiefermuskeln glätteten sich wieder.
    »Wir haben alle Heilmittel und alle Antitoxine
ausprobiert«, sagte Ayrid. »Aber wir haben sie noch nicht
gemischt. Diese Bakterien sind neu für Quom und neu für die
Geds; vielleicht braucht man eine neue Kombination von… von
irgendwelchen Mitteln, um sie abzutöten.«
    »Sieh dir bloß die ganzen Fläschchen an«,
sagte Krijin. »Das haben wir alles durchprobiert, und zwölf
Antitoxine! Wenn wir alle Mischungen ausprobieren wollen, in jedem
denkbaren Mischungsverhältnis, dann…«
    »Aber vielleicht stoßen wir so auf die richtige«,
meinte Dahar nachdenklich. Die dunklen Augen verloren ihre
Müdigkeit.
    Lahab, der hinten im Raum an seinen Linsen schliff, sah von der
Arbeit auf und sagte auf seine stille, schwerfällige Art:
»Wir haben keinen Eiter mehr. Alles verbraucht.«
    Ilabor schnaubte. »Der Nachschub ist gesichert.«
    »Grax«, sagte Krijin, »kannst du uns mehr davon
besorgen… ich meine von den Kranken bei euch in der
Stadtmauer?«
    »Ja.«
    Ja. Ayrid schwang mit ihrem Stuhl zu Grax herum, weil sie
sein Gesicht sehen wollte. »Hast du mir gestern nicht gesagt,
daß diese Menschen sich im Zustand der Stasis befinden –
so wie man uns alle anfangs in Schlaf versetzt hat, so wie mein Bein
– und daß sie keine Schmerzen leiden? Wenn die Wunden
nicht mehr weh tun und nicht mehr jucken, wie können sie dann
eitern?«
    Es wurde totenstill.
    Grax schien ernsthaft zu grübeln. Schließlich sagte er:
»Ayrid, du hast nur nicht verstanden, was ich dir erklärt
habe. Stasis ist ein bißchen schwerer zu verstehen als
Elektrizität oder Magnetismus. Dir fehlen einfach noch die
Grundlagen, um die Prinzipien zu verstehen, die dem Prinzip der
Stasis zugrunde liegen. Es gibt viele Sorten von Stasis. Die Stasis
des kalten Schlafs, in die wir euch anfangs versenkt haben, ist nicht
die gleiche Stasis, in der sich dein Bein befindet. Es befindet sich
nicht in einer vollständigen Stasis. Denk mal nach, Ayrid. Dein
Knochen muß schließlich wieder zusammenwachsen, egal wie
langsam; täte er das nicht, dann hättest du zwar keine
Schmerzen, aber der Bruch würde nicht heilen.
    Die Kranken in der Stadtmauer liegen in einer ähnlichen
Stasis wie dein Bein. Ihre Wunden sondern noch Eiter ab, aber sie
schmerzen und jucken nicht mehr. Du fühlst dein Bein nicht, sie
fühlen ihre Wunden nicht.«
    Wieder trat Stille ein. Um so lauter hörte Ayrid die Frage,
die Grax nicht ausgesprochen hatte: Warum glaubst du, daß
ich dich belüge?
    Sie sah sie der Reihe nach an – Krijin, Ilabor, Tey. Warum
glaubst du, daß er lügt? fragten ihre Gesichter.
    Sie wußte es selbst nicht.
    Schließlich blickte sie Dahar an. Überraschung stand in
seinem Gesicht. Seine dunklen Augen verengten sich.
     
    Eine jelitische Bürgerhalle. In einem Zimmer sitzt ein
ausgemergelter, nicht mehr junger Mann, die Ellbogen auf den Knien,
das Gesicht in den Händen begraben, und lauscht auf die Tritte
gegen seine Tür. Neben ihm

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