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Fremdes Licht

Fremdes Licht

Titel: Fremdes Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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und düster da im Mehltau der ›Nacht‹,
der durch die vier Torbögen drang. Während Dahar das
Halbdunkel sondierte, nahm er unwillkürlich die beste
Verteidigungsposition ein. Als er beiseite trat, steuerte Ayrid ihren
Stuhl an ihm vorbei ins Zimmer.
    Er drückte die Tür ins Schloß.
    In seinem Schlafzimmer hatte Dahar den glühenden Kreis
abgedeckt. Es war so finster, daß sie einander nicht sahen, so
ähnlich und doch so ganz anders wie in jener Nacht, als er zu
ihr gekommen war: am Rande der Erschöpfung, verzweifelt, ohne zu
wissen, was er tat, oder warum er es tat. Ein wenig von der
Unsicherheit und Verlegenheit jener Nacht drang auf ihn ein, aber er
wehrte sich dagegen; er hatte schon genug Probleme, all die Probleme,
die er seit Zehnzyklen verdrängte.
    »Dahar«, sagte sie leise und stockte. Er spürte,
wie er sich straffte in der Finsternis, sagte aber nichts. Die alte
Taktik stellte sich wieder ein, und der abgetrennte Dahar wartete ab,
was Ayrid als nächstes sagen würde.
    »Du hast mich hier in der Unterrichtshalle noch nicht einmal
angesehen«, sagte sie in einem Tonfall, der ihn
überraschte. Sie redete so ruhig wie ein Ged, ohne eine Spur von
Furcht oder Zaghaftigkeit. »Wenn du mich ansehen würdest,
würdest du dann immer noch R’Frow sehen?«
    Seine Worte. Er bekam heiße Ohren. Er sagte nichts.
    »Ich glaube nicht«, sagte Ayrid, und jetzt hörte er
eine Spur von Erregung, die sie mit aller Gewalt im Zaum hielt. Etwas
anderes als die spontane Gefühlsaufwallung eines Jeliten. Etwas anderes.
    »Ich glaube«, fuhr Ayrid bedächtig fort, »wenn
du mich ansehen würdest, dann würdest du eine delysische
Hure sehen.«
    Soviel Kühnheit hatte er ihr nicht zugetraut. Sie war
intelligent, sie war kühn, und sie war begehrenswert. Und wenn
er sie ansah, dann sah er Kelovar, dann sah er seine Vorgänger.
Und ein Gedanke so alt wie er selbst wuchs in seinem Hirn heran,
wuchtig wie eine Mauer. Hure.
    »Nein«, sagte er.
    »Lüg mich nicht an, Dahar.« Sie lachte ganz
unerwartet. »Du lügst schlecht, wußtest du
das?«
    »Ja«, sagte er zu seiner eigenen Überraschung und
fuhr fort: »Aber Ayrid, ich kenne Schwestern,
Mutterkriegerinnen, Bürgerinnen und Huren…«
    »Und niemand kann etwas kennenlernen, das er vorher nicht
gekannt hat. Niemand in R’Frow kann wirklich anders denken als
er es schon immer getan hat, niemand kann zu einer wirklich neuen
Hypothese kommen.« Bei dem merkwürdigen Wort, für
dessen Bedeutung es auf Quom keinen Ausdruck gab, hatte sie ein
bißchen gezaudert, aber nur ein bißchen. »Aber wer
weiß? Vielleicht solltest du deine Hypothese über Frauen
gar nicht ändern, weil sie dir doch so gute Dienste geleistet
hat? SaSa ist doch der beste Beweis dafür. Warst du nicht einer
von den ehrenhaften Bruderkriegern, die aus ihr gemacht haben, was
sie jetzt ist?«
    Wieder schwieg er, und er hörte, wie sie rasch Luft holte in
der Finsternis.
    »Hast du ihr Gewalt angetan, Dahar? Hast du? Denn,
wenn du diesem Kind…«
    »Ich habe noch nie einer Frau Gewalt angetan!«
    Sie verstummte. Er konnte fühlen, nicht was – aber
daß sie dachte. Sie war wie ein unsichtbares Feuer. Er wurde
auf eine befremdliche Art verlegen, fühlte sich irgendwie
bloßgestellt, beschämt. Daß sie ihm den Krieg
erklärt hatte – oder er ihr, oder sie beide einander –
lag auf der Hand, aber er wußte nicht, mit welchen Waffen sie
kämpfte, noch weniger wofür. Sie schien sich auszukennen,
schien zu Hause zu sein in diesem Terrain, hatte diesen Kampf
vielleicht schon oft gefochten. Hure. Anders als bei Belasir,
hatte er bei ihr keine Ahnung, was sie als nächstes sagen
würde. Der abseitige Dahar mußte zugeben, daß sie
ihm in diesem Moment fremder war als ein Ged.
    »Hast du jemals eine Frau haben wollen, die nicht für
dich bestimmt war? Hast du jemals Verlangen nach einer Schwester,
nach einer Kriegerin gehabt, oder nach einer Bürgerin?«
    Das meckernde Kichern der Jungen beim Training, die
Männerzoten draußen in der Savanne. Aber davon konnte eine
Frau nichts wissen, es sei denn… es sei denn, sie war eine
Hure.
    »Raus mit der Sprache, Dahar. Hast du jemals eine Kriegerin
angesehen und sie begehrt?«
    Plötzlich war er es leid. »Du gackerst über Sachen,
von denen du nichts verstehst«, brauste er auf.
    Er war wie vor den Kopf geschlagen, als Ayrid lauthals lachte, es
war ein Lachen, das aus dem Bauch kam. »So ähnlich hat sich
Jehanna ausgedrückt«, gluckste sie, »draußen in
der Savanne.

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