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Fremdes Licht

Fremdes Licht

Titel: Fremdes Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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in die Arme, daß sie das
untrügliche Gefühl hatte, er greife nicht nur nach ihr, er
greife nach mehr, aus lauter Angst, es zu verlieren oder nicht zu
bekommen.
    »Ich liebe dich«, sagte er tonlos, abwartend und mit der
Unbeholfenheit eines Jungen.
    Freude sprudelte in ihr auf, wie Wasser aus einem Bergquell, nur
um sofort wieder getrübt zu werden.
    »Hat sonst noch jemand… ich meine, bin ich der einzige,
mit dem du dein Daumenschloß hier in der Unterrichtshalle
teilst, abgesehen von SaSa?«
    Erst war sie erstaunt, dann verärgert. »Der
einzige… natürlich bist du der einzige. Meinst du, die
Soldaten stünden Schlange vor der Unterrichtshalle, nur um in
mein Zimmer zu kommen? Denkst du, weil ich eine Delysierin bin –
eine Delysierin war, daß ich… verdammt!«
    Er hielt sie immer noch in den Armen; er schwieg. Ihr war
erbärmlich zumute. »Warum ärgerst du dich?« sagte
er schließlich. »Du hast doch gesagt, in Delysia
könnten Männer und Frauen offen über alles
reden.«
    Es war zwecklos. Ayrid sah die tiefe Kluft zwischen ihnen und
versuchte, ihren Ärger hinunterzuschlucken. »Ja, Dahar.
Aber. Wenn sich eine Kriegerin entschließt, Kinder zu
gebären, schläft sie dann gleich mit einem ganzen Dutzend
Männern?«
    »Nein.«
    »Siehst du. Das macht auch keine delysische Frau, egal ob sie
Soldatin oder Bürgerin ist. Und erst recht nicht, wenn…
wenn Liebe im Spiel ist.«
    »Liebe – eine Mutterkriegerin liebt normalerweise nur eine Schwester, auch wenn sie mit einem Bruder
schläft.«
    Das war Ayrid neu. »Sie hat weiter Geschlechtsverkehr mit
einer Schwester?«
    »Natürlich.«
    »Gleichzeitig also mit dem Mann und mit der Frau?«
    »Warum nicht? Wenn sie dem Kampfkader einmal den Rücken
gekehrt hat, spricht nichts dagegen.«
    Sie versuchte sich auszumalen, wie es sein mußte, ein Leben
lang mit Frauen zu schlafen, weil der Ehrencodex es so wollte, um
später dann der Kinder wegen Geschlechtsverkehr mit einem Mann
zu haben und der Liebe wegen noch mit einer Frau. Es gelang ihr
nicht. Da kam ihr ein Gedanke. Leise sagte sie: »Wäre es
dir lieber, ich hätte vor dir nur mit Frauen
geschlafen?«
    »Eigentlich ja.«
    Eigentlich ja.
    Sie spürte, wie er auf der anderen Seite der tiefen Kluft
stand, und seinerseits in den dunklen Abgrund starrte. Plötzlich
dann, mit einer Stimme, die sie deutlich an Jehanna erinnerte –
die gleiche Unbeirrtheit, die gleiche Entschlossenheit, alle
Hindernisse aus dem Weg zu räumen – sagte er: »Wer
hört schon auf den Wind von gestern? Delysier, Jeliten –
wir sind Geächtete. Was kümmern uns ihre Sitten und
Gebräuche. Hier ist R’Frow. Alles andere ist Vergangenheit
-Krieger, Kriegerinnen, Kelovar, der Krihundspakt, einfach alles
– vorbei. Wir beide – du und ich – sind fertig
damit.«
    Dahar blickte über den Abgrund hinweg. Er vermißte
nichts in der Unterrichtshalle, im Gegenteil, hier gab es
komplizierte Probleme zu lösen, von denen draußen niemand
eine Ahnung hatte; und gleichzeitig mied er andere, nicht minder
komplizierte Probleme, jene dunklen, schillernden Verwicklungen am
Grund der Kluft. Ayrid wollte jetzt auch nichts mehr von diesen
Verwicklungen wissen. Sie spürte die Liebkosungen seiner Hand,
und sie zog ihn in der Finsternis an sich, und seine Lippen senkten
sich durstig auf ihren Mund.
     
    »Töte sie!« sagte Belasir.
    Die gefesselte Soldatin starrte auf die jelitische
Oberkommandierende. Sie zeigte keine Furcht, nur den flammenden
Trotz, mit dem die borniertesten aller Krieger dem Tod begegnen,
diejenigen, die zu jung sind, um zu kapieren, daß ein toter
Kämpfer keine Schlacht gewinnt. Die Soldatin hob das Kinn; ihre
Augen sprühten Haß. Soviel jugendliche Dummheit verdiente
Verachtung und Mitleid, doch Belasir hatte von beidem nichts mehr.
Beides und mehr waren in Überdruß und Scham
ertrunken.
    Die sechs standen Spalier, drei zur Linken der Gefesselten,
drei zu ihrer Rechten. Khalids Mund ein Strich, Sankurs Gesicht
aschfahl, Ischak und Syed mit eisigen Mienen. Nur Kelovars Augen
brannten.
    Ischak trat vor, packte den Schopf der Delysierin und riß
ihr den Kopf nach hinten. Der gebogene Hals war weiß, bar jeder
natürlichen Bräune. Der Krieger setzte ihr die Mündung
seines Kugelrohrs an die Gurgel und drückte ab. Die Wucht des
Geschosses, die durch keine Distanz gemindert wurde, warf den
Körper nach hinten und riß Ischak den Schopf aus der Hand.
Die Soldatin röchelte noch einmal, dann lag sie still und
rücklings im

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