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Fremdes Licht

Fremdes Licht

Titel: Fremdes Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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Höflichkeit hält,
sondern sogar für eine Tugend. Belasirs Tod, die inneren Wunden,
die sie einander beibrachten, die unsäglich verlockende
Aussicht, mit einem Sternenboot zu fahren – all das hatte sich
zusehends in sein Gesicht gemeißelt, das jetzt eine
Entschlossenheit verriet, die durch nichts mehr zu erschüttern
war. Er würde mit Grax gehen. Er würde in das Sternenboot
steigen. Nichts konnte ihn davon abbringen.
    Auf seine Weise war er so blind wie Kelovar.
    »Kommst du mit an Bord, Ayrid?«
    Sie preßte die Lippen zusammen und hielt den Blick gesenkt.
Dahar packte ihr Kinn und zwang ihr Gesicht nach oben, zwang sie, ihn
anzusehen.
    »Steigst du mit in das Sternenboot?«
    Ayrid überlief ein Schauder; er tat ihr weh. »Wenn ich
nein sage… gehst du ohne mich.« Das war eine Feststellung,
keine Frage.
    Dahar ließ ihr Kinn los. Er stand da und sah aus
großer Höhe auf sie herab, enttäuscht.
    Ihr Zorn war plötzlich verflogen. »Die
Gedwissenschaft«, sagte sie. »Koste es, was es
wolle.«
    Es arbeitete in seinem Gesicht. Doch als er schließlich
antwortete, klang er besonnen, und sein Eingeständnis bedeutete
keinen Sieg für sie.
    »Ja. Koste es, was es wolle.«
    Sie konnten einander nicht in die Augen sehen.
    »Dahar. Nimm dich in acht, solange du noch… auf Quom
bist. Es könnte sein, daß Kelovar inzwischen Bescheid
weiß über… mich.«
    »Du meinst…«
    »Nein. Du bist in Gefahr, nicht ich.« Kelovar
würde sich niemals eingestehen, daß sie einem jelitischen
Krieger den Vorzug gegeben hatte. Bei ihm war die Wahrheit das, was
er für die Wahrheit hielt.
    Wie bei Dahar.
    »Paß auf dich auf.«
    Er rang um die Worte. »Grax wird uns in die Stadtmauer holen.
Jetzt gleich. Lahab und mich. Wir haben nur… auf dich
gewartet.«
    Ayrid preßte die Augen fest zu. Als sie seine Hand auf der
Schulter spürte, schüttelte sie sie so ungestüm ab,
daß sie sich dabei die Muskeln zerrte. Dahar sog scharf die
Luft durch die Nase.
    Sie hörte, wie sich die Tür öffnete und
schloß.

 
57
     
    Jemand hatte die Temperatur um zehn Einheiten hochgefahren, beinah
bis zur Zelebrationsschwelle. Die Luft war geschwängert mit
süßen Pheromonen. Unterschwellig roch es nach Angst und
Ungewißheit, doch keiner der siebzehn Geds bat das
Bibliothekshirn, die Temperatur herabzuregeln. Die Zelebration war
wichtiger als Korrektheit.
    Sie würden heimkehren.
    Heimkehren mit Menschen an Bord; heimkehren mit dem Wissen um das
jüngste Massaker, das ebensolche Menschen unter der Flotte
angerichtet hatten; heimkehren, ohne den Zentralen Widerspruch gelöst zu haben – aber sie kehrten endlich heim. Man
grollte miteinander in der nüchternen Diktion von Fakten, nicht
ohne zwischendurch vorsätzlich in eine unsachliche Schrulligkeit
abzugleiten, eine Laune, der man zum erstenmal wieder nachgab, seit
man sich auf diesem abstrusen, unmoralischen Planeten befand. Man
streichelte einander über Rücken, Glieder und Köpfe.
Das schwere, aufreizende Gemenge präliminarischer
Paarungsdüfte kitzelte die Schleimhäute.
    Nur Grax fehlte noch; er unterhielt sich immer noch mit den
männlichen Menschenwesen, die an Bord kommen sollten.
    Die Zelebration war besonders süß, weil niemand damit
gerechnet hatte, daß man Quom noch vor Ablauf des sogenannten
›Jahres‹ verlassen würde. Doch nachdem sich die
Diskussion die ganze ›Nacht‹ über genüßlich
im Kreis gedreht hatte – eine an sich schon sattsam
befriedigende Zeremonie – da hatte man sich dazu durchgerungen,
die restlichen fünf Menschen mitzunehmen, die sich so
anhänglich zeigten, als wollten sie Geds werden.
    …als wollten sie Geds werden. Selbst dieser
abgefederte grammatische Salto tat immer noch weh in den Ohren.
    Es gab keinen Grund, noch länger zu warten. Die Experimente
in Sachen Suggestibilität waren gescheitert; man würde die
Menschen, die man mitnahm, nicht chemisch unter Kontrolle haben. Alle
Chemikalien, die Willfährigkeit hervorriefen, wirkten sich
zerstörerisch auf die Intelligenz aus; alle, die die Intelligenz
unberührt ließen, machten die Probanden nicht
willfähriger, als sie es ohnehin schon waren.
    »Wenn wir Zeit hätten, die Experimente zu
verfeinern…«, sagte Wraggaf.
    »In uns singt die Harmonie.«
    »Die Harmonie singt. Wenn wir Zeit
hätten…«
    »Zeit ist das, was wir nicht haben.«
    »Zeit. Möge sie immer singen.«
    »Die Zeit?«
    »Die Harmonie.«
    »Sie wird auf immer singen. Die Experimente mit den
Gefangenen waren

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