Fremdes Licht
sie Talot recht geben: das hatte kein Krieger getan.
Belasir hatte sie alle auf das Gebot der Geds verpflichtet –
niemand durfte töten in R’Frow.
Jehannas Herz tat einen winzigen Hüpfer. Falls die Delysier
angriffen… weder sie noch Talot waren alt genug gewesen, um noch
zu Kriegszeiten in einen Kader aufgenommen zu werden. Jehanna
bückte sich nach ihrem Tebel und der Dreikugel. Sie
lächelte Talot zu und begann wieder zu pfeifen.
Dahar beobachtete, wie Belasir ihre Schultern lockerte: rasches
Vorkrümmen und nach hinten rollen. Er sah ihre Miene, als sie
ihn bei seinem Blick ertappte. Die Runzeln zwischen Nase und Mund
schoben sich zusammen; Schwäche zuzugeben, war etwas, das ihr
bestimmt nicht leichtfiel. Irgend etwas zuzugeben, fiel ihr schwer.
Dahar drückte das Kreuz durch und straffte die Schultern.
»Keine besonderen Vorkommnisse, Kommandantin. Keine neuen
Erkenntnisse, was den Tod des Delysiers betrifft. Ein Bruder ist
nicht zum Wachdienst erschienen, zweite Wache.«
»Hast du dich um ihn gekümmert?«
»Ich habe ihn ersetzen lassen. Der Krieger wird einen
Zehnzyklus brauchen, ehe er wieder auf Wache gehen kann – und
einen Dreitag, ehe er wieder stehen kann.«
»Name?«
»Fastud. Halle Drei.«
»Ich kenne ihn. Ein Faulpelz. In Jela hätte ihn kein
Kader aufgenommen. Wer weiß, vielleicht hat ihn schon einer
ausgemustert. Hier weiß man nie, mit wem man es zu tun
hat.«
»So ist es, Kommandantin«, sagte Dahar. Belasir war eine
interessante Frau. Sie war zu alt, um einen Schwesterkader zu
befehligen; nicht lange, und sie konnte nicht mal mehr
Mutterkriegerin werden. Vermutlich hatte sie keine Lust gehabt, sich
in die Schwangerschaft zurückzuziehen und war nach R’Frow
gekommen, um das Oberkommando über ein Sammelsurium von Jeliten
zu übernehmen.
Klug, fair und wortkarg, wie sie war, gab sie eine ausgezeichnete
Oberkommandierende ab. Sie befaßte sich genauso ausgiebig mit
der Einteilung und Postierung der Wachen wie mit dem Kadertraining;
kein Detail, dem sie keine Beachtung schenkte. Kaum ein Kommandant,
der sich so einsetzte; Dahar gefiel das.
Manchmal, wenn Belasirs Blick die Doppelhelix auf seiner Schulter
streifte, hatte er den Eindruck, daß sie zu den wenigen
gehörte, die verstanden, warum er das Symbol trug – und
welchen Preis er dafür zahlte. Vielleicht irrte er sich.
Belasirs Liebhaber, eine Kriegerin, wartete geduldig draußen im
dunklen Korridor. Dahar hatte ihren Blick bemerkt; die Schwester
hatte sich alle Mühe gegeben, sich nichts anmerken zu lassen,
als er vorbeikam. Hatte Belasir das auch bemerkt? Bestimmt.
Sie sagte: »Fastud gehört zu den Schlimmsten; zu viele
von diesen Kriegern taugen nichts für den Kader. Zu jung, zu
wenig Disziplin und schlechte Kondition. Nicht in Jela ausgebildet.
Von auswärts.«
Dahar sagte gleichmütig: »Vielleicht überseht Ihr,
daß ich auch nicht aus Jela bin.«
»Du?«
»Ich komme aus Anla.«
Belasir musterte ihn unverhohlen. »Das wußte ich nicht.
Ich hätte dich für einen Kaderführer aus Jela
gehalten.«
Dahar wartete, und als sie es nicht aussprach, tat er es:
»Und nicht für einen Blauroten aus einer
Bergbausiedlung.«
Mit einem flüchtigen Blick streifte Belasir seine Schulter.
Er ließ ihr Gesicht nicht aus den Augen; ihm entging nicht der
Abscheu, der kurz darin aufflackerte, bevor Takt und Respekt die
Oberhand gewannen. Abscheu war ihm vertraut, taktvoller Respekt war
selten – und bei den Kriegern in R’Frow war er die
Ausnahme. Sie mochten keinen stellvertretenden Kommandanten mit einer
Doppelhelix auf der Schulter. Zwar wagte es keiner, ihn darauf
anzusprechen. Aber ihre Mienen waren beredt genug. Dahar hatte es in
all den Jahren gelernt, jede Regung aus seinem Gesicht zu verbannen.
»Hineingeboren?« hakte Belasir nach.
»Nein. Meine Mutter war eine auswärtige
Kaderführerin.«
Bei Belasir siegte die Zurückhaltung; sie stellte keine der
üblichen Fragen: Wie kommt ein so kräftiger und
tüchtiger Krieger dazu, freiwillig das Schicksal eines Blauroten
zu wählen? Wußtest du denn nicht, daß die meisten
Krieger einen großen Bogen um die Blauroten machen?
Zerstückelst du wirklich die Krieger, die du nicht heilen
kannst, bevor du sie begräbst? Trinken die Priester
Menschenblut?
Dahars Achtung vor ihr wuchs, als sie statt dessen schwieg. Sie
hätte die Antworten ohnehin nicht verstanden. Und seine
Beweggründe hätte er ohnehin für sich behalten. Sie
verkniff sich den kindischen Vorwurf, den die
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