Fremdes Licht
mit einer Armbrust zu
vergleichen, aber wenn man mit ihr jagte, blieb das Fell der Beute
unbeschädigt. Als Jehanna die Dreikugel zum erstenmal in der
Hand gewogen hatte, hatte sie sich angefühlt wie ein Teil von
ihr. Sie schleuderte sie mit größerer Präzision als
jeder andere Krieger – mit Ausnahme von Dahar, und sie hatte
sich fest vorgenommen, ihn durch härteres Training zu
übertreffen.
Dahar – sie wurde nicht klug aus ihm. Tagaus, tagein zollte
er diesem Ungeheuer volle Ehrerbietung, lauschte dem Geschwafel und
hantierte mit den ganzen absonderlichen Dingen herum, die dauernd aus
den Bodentischchen wuchsen. Die Ehrerbietung war in Ordnung, war gut
– das war seine Pflicht und Schuldigkeit als ranghöchster
Krieger im Raum und nicht zuletzt als erster Stellvertreter der
Oberkommandierenden. Aber wie brachte er es fertig, so konzentriert
zuzusehen und zuzuhören, als sei er wirklich interessiert, und
gleichzeitig die Brut auf der anderen Seite des Raums nicht einen
Augenblick aus den Augen zu lassen? Ein paarmal war ihr gewesen, als
habe er die Anwesenheit delysischer Soldaten fast vergessen –
hatte er natürlich nicht, das war ja sonnenklar. Er war der
stellvertretende Oberkommandierende. Aber dann wieder hatte er mit
dem Krimskrams der Geds gespielt, und seine Augen hatten so
dreingesehen… so… zum Henker, sie wußte nicht, wie
sie dreingesehen hatten. Er war schließlich der Kommandierende,
und er wußte, was richtig war und was nicht; auf dem
Übungsgelände machte er ihnen allen was vor. Und sie wollte
sich jetzt nicht durch irgendwelche dummen Gedanken die Laune
verderben lassen.
Sie räkelte sich genießerisch in dem warmen Wasser
– also wirklich, ein paar Sachen von den Geds waren
sonnenstrahlschön – und dann lächelte sie
vergnügt, als Talot vom Wachdienst ins Bad kam.
Talot lächelte nicht.
»Der Schuhmacher ist tot.«
»Schuhmacher? Welcher Schuhmacher?«
»Aus unserem Trainingskader. Der Delysier. Fett, dumm,
gebrochene Nase – du erinnerst dich. Der im Unterricht den
gespitzten Gedstab herumgezeigt hat.«
»Ah ja.« Dabei hatte sie angenommen, daß es Dahar
entgangen war. »Hätte eine Waffe sein
können.«
»Ja. Die Delysier haben seine Leiche gefunden. Pfeil im
Genick.«
»Von uns?«
»Der Pfeil wurde herausgezogen.«
Jehanna fielen die Delysier ein, die sie in der Savanne
getötet hatte, diese Mistkerle, die versucht hatten, die
Glasbläserin zu vergewaltigen. Ein Pfeil im Genick war nicht
leicht zu entfernen, ohne daß ein Stück im Fleisch
zurückblieb. Es kam darauf an, welche Drehung man ihm gab.
»Er war nicht abgebrochen«, sagte Talot. »Irgendwer
hat sich da ausgekannt. Die Delysier bestehen darauf, daß der
Krihund von einem Krieger getötet wurde.«
»Vielleicht haben sie recht«, sagte Jehanna
kühl.
»Nein. Belasir hat uns auf die beiden Gebote der Geds
verpflichtet. Ein Krieger bricht keinen Eid.«
Jehanna sah in eine andere Richtung. Talot lief plötzlich rot
an und sah auch in eine andere Richtung. Schließlich brach
Jehanna das peinliche Schweigen: »Bei dir war das was ganz
anderes… das hier ist schon fast ein Kriegseid. Wahrscheinlich
wurde der Schuhmacher von einem delysischen Soldaten getötet.
Sie schützen ihre Bürger nicht, sie lassen sie zur Ader.
Hurenböcke und Feiglinge.«
»Es könnte ein Delysier gewesen sein. In der
Unterrichtshalle erzählt man sich, sie hätten den
Schuhmacher innerhalb ihrer eigenen Zone gefunden.«
Jehanna grinste. »Das beweist noch gar nichts. Wie schwer ist
es denn, zwischen ihren Wachposten durchzuschlüpfen?«
Talot sagte mit ernster Miene: »Keine Ahnung. Ich hab’s
noch nicht ausprobiert.«
Jehanna hatte es auch noch nicht versucht. Aber jeder wußte,
daß die delysischen Postenketten so löcherig waren wie ein
verfaultes Netz. In Jela hieß es, die delysischen Soldaten
würden untereinander mit dem Wachdienst schachern wie mit einer
Ware. Pfui!
Sie schwang sich aus dem Wasser. »Ich gehe essen. Und
du?«
»Du gehst nicht essen. Binnen zehn Minuten will Dahar alle
Krieger sehen, die nicht zur Wache eingeteilt sind. Er und Belasir
sind unzertrennlich, seit sie von dem Vorfall weiß.«
Deshalb also hatte man Belasir vom Trainingsgelände geholt.
Wahrscheinlich mußte die Anzahl der Wachposten verdoppelt
werden, denn diesen schleimigen Delysiern war zuzutrauen, daß
sie die Schuld auf Jela schoben, anstatt den Schuldigen in ihren
eigenen Reihen zu suchen. Jetzt, wo sie darüber nachdachte,
mußte
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