Fremdes Licht
eine
gewisse Stille, damit die Geds ihren belanglosen Sermon loswerden
konnten. In jeder Lerngruppe ging auf Seiten der Delysier das Treiben
weiter, allerdings bei einem niedrigeren Geräuschpegel: es wurde
gespielt, gefeilscht, genäht und geschlafen, gedroht und
geschnitzt; und über allem die versteinerten Gesichter der
Soldaten; sie hatten nur Augen für die jelitischen Krieger und
hielten die Hände immer griffbereit an den Waffen; der Ged war
Luft für sie.
Doch der Lärm, der Ayrid empfing, als Ondur sie in die Halle
zerrte, war nicht der des Basars.
»Was ist los? Was ist passiert?« wollte Ayrid wissen.
Ondur zeigte zur Mitte des Raums, aber Ayrid sah nichts weiter als
aufgebrachte Leute, die ihr den Rücken zukehrten.
»Mach das nicht wieder, Ayrid. Treib dich nicht wieder
draußen herum!« sagte Kelovar und nahm sie beim Arm. Seine
blassen Augen glitzerten sie an. Ayrid machte sich aus seinem Griff
los. Sie hatte es nicht gern, wenn er sie bevormundete.
»Diese gemeinen Bestien haben ihn beim Herstellen einer Ahle
getötet«, sagte Ondur verbittert. »Einer Ahle.«
Die Menge teilte sich für einen Augenblick. Zwischen zwei
Bodentischchen lag ein Mann, dickleibig, ungewaschen; das erschlaffte
und blau angelaufene Gesicht war blutverkrustet. Der Schuster.
»Er gehörte doch zu deiner Lerngruppe?« sagte
Ondur. »Er hatte einen roten Kreis. Der Pfeil hat ihn im Genick
getroffen. Typisch für Jeliten.«
Einen Pfeil im Genick, und der schwere Körper, der
seitlich wegkippte und sich in ihren zerrissenen Tebel krallte… Ayrid wandte den Blick ab.
»Er war unten am Fluß«, fuhr Ondur zornig fort.
»In Rufweite der Wachen, genau wie du. Irgendwie sind diese
Bastarde durchgeschlüpft. Er war auf der Suche nach einem
Jonkil, er brauchte das Leder, weil ihm jemand ein gutes Angebot auf
ein Paar Sandalen gemacht hatte. Siehst du das Mädchen da
hinten, das weint? Sie weiß Bescheid. Die beiden haben sich die
Daumenschlösser geteilt.«
Das Mädchen barg das Gesicht in den Händen; seine
Schultern bebten; es wurde von einer älteren Frau und einem
Soldaten mit versteinerter Miene flankiert. Er stellte ihr Fragen,
doch das Mädchen schüttelte bloß den Kopf, hielt die
Finger über die Augen gespreizt. Sie war reichlich jung. Die
ältere Frau wandte sich in scharfem Ton an den Soldaten. Der
Soldat ließ ab und ging mit einer steilen Falte auf der Stirn
fort.
»Sie ist fast noch ein Kind«, sagte Ondur. »Das
werden sie büßen.«
»Jela«, sagte Ayrid gedankenlos.
»Jela«, bestätigte Kelovar leise, und Ayrid drehte
sich nach ihm um. Zorn und Haß standen in seinem Gesicht –
aber da war noch etwas: Sie las einen merkwürdigen,
schrecklichen Triumph in seinen Zügen, dessen er sich zu
schämen schien. Sie war sich nicht sicher.
War es denn so ungewöhnlich, daß ein Soldat sich
darüber freute, daß er gebraucht wurde? Nein, wohl nicht.
Doch unterschwellig wußte sie, daß das nicht die ganze
Erklärung war.
»Da ist Khalid«, sagte Kelovar. »Bleib in der
Halle, Ayrid. Egal wofür, du gehst nicht nach draußen
– kein Tauschgeschäft, kein Spaziergang, kein Bad, nichts.
Ich komme zurück, sobald ich kann.«
Als Kelovar und Khalid davongingen, sah ihnen Ondur mit grimmiger
Genugtuung hinterher. »Sie werden es ihnen heimzahlen. Wann
immer Brennzeit ist, die Delysier zwängen sich in denselben
Brennofen.«
»Damit sie da alle verkohlen?« Ayrid wußte gar
nicht, wie ihr geschah; ehe sie sich’s versah, waren ihr die
Worte aus dem Mund gerutscht. Doch Ondur bemerkte nicht, wie
ketzerisch sie klangen.
»Vielleicht; aber ich glaube nicht, daß das passiert.
Unsere Soldaten verstummen zwar nicht auf Befehl, wie die jelitischen
Krieger, aber immerhin haben wir den letzten Krieg gewonnen. Das
werden sie büßen! Und beim Herstellen einer Ahle!«
»Eine Ahle…«
»Er war dabei, sich eine zu machen, aus einem der runden
Stäbe, die die Geds haben – du weißt schon, die sie
für so wichtig halten. Der Stab war hart genug, um Leder zu
durchbohren, und weich genug, um ihn anzuspitzen, also macht er sich
eine Ahle daraus. Wahrscheinlich hat er seine in Delysia gelassen.
Das haben die Jeliten mitgekriegt – sie müssen gedacht
haben, er fabriziert sich eine Waffe. Oder sie wollten einfach nur
töten. Kann man sehen, wie das Leuchtfeuer untergeht?«
Ayrid sagte nachdenklich: »Die Geds haben das Töten
ausdrücklich verboten. Wer tötet… wird aus R’Frow
verbannt…«
Eine andere Frau war näher
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