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Fremdkörper

Fremdkörper

Titel: Fremdkörper Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miriam Pielhau
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besser. Weil es stimmt. Und klappt.
    KM 6
    Vom Sumpf, Teich oder See bin ich noch ein gutes Stück entfernt. Im Augenblick geht es vorbei an den Kleingartenkolonien, die ich schon auf der Flurkarte im Internet gesehen hatte. Ich gebe, wenn auch nur ungern, zu: Ja, ich habe Familien oder ältere Leute früher etwas überheblich belächelt, die sich mit Hingabe und Liebe zum noch so kleinen floralen Detail ihren Schrebergärten widmen. Die ihren größten Frieden im wochenendlichen Reihengarten-Besuch sahen. Das muss ich revidieren. Ich laufe an den Parzellen der gepflanzten und gezüchteten Alltagsfreude vorbei und registriere sie als das, was sie sind: grüne, manchmal bunte Fluchten aus der Eintönigkeit des Lebens. Der Garten Eden des kleinen Mannes. Ich mag die Vorstellung, dass hier Sonntag für Sonntag runde Bäuche an die frische Luft gehalten werden. Dass Frauen mal die Hühneraugen hochlegen. Oder die Männer auf dem tragbaren Fernseher den Auftakt der Bundesliga-Rückrunde anschauen. Ist das nicht auch eine? Eine kleine, einfache Formel des Glücks? Schon, oder? Ich erlebe gerade eine andere. Auch ganz brauchbare. Denn trotz meines gemütlichen, aber sehr konstanten Tempos überhole ich gerade einige Läufer, die vorhin noch ehrgeizig an mir vorbeigespurtet sind. Ich kann mir ein fröhliches, möglicherweise sogar freches Grinsen nicht verkneifen. Leider ernte ich nur irritierte, verstörte oder sich abwendende Blicke. So sehr ich mich selbst an mein Tuch-Toupet gewöhnt habe, so sehr ist es eben doch mein menschlicher Makel. Ein Merkmal der Andersartigkeit. Und für die, die die Indizien kombinieren: zu oft ein Zeichen von verlorenem Kampf. Da passt es nicht ins Bild, dass ich mit anständiger Geschwindigkeit durch die Walachei laufe. Wobei ich mich zwar redlich mühe, gazellenhaft auszusehen. Allein, es mag nicht so recht gelingen. Die Starrer und Weggucker. Auch hier. Wenn einen dieses Phänomen über die Monate nicht total fertigmacht, dann am Ende in jedem Fall stärker. Ich gehe in die Offensive und zeige alles an Zähnen, was in meinem Mundraum so rumsteht. Das hilft ein bisschen. Hin und wieder bekomme ich ein freundliches Gesicht zurück geschenkt: Unsicherheiten lassen sich also auch weglachen. Bei mir. Und bei anderen.
    KM 7
    Mein Musikgerät spielt mir gerade, meine angenehme Stimmung mal geflissentlich ignorierend, eine sehr melancholische Weise. The Last Time. Ein Lied, das Thom für die Überlebenden, die Hinterbliebenen der Tsunami-Katastrophe geschrieben hat. Ein Abschiedssong und Gruß an die Toten, denen wir und denen ihre Familienangehörigen nicht mehr »Auf Wiedersehen« sagen konnten. Hui. Das gibt der Leichtigkeit Gewichte an die Hand. Macht aber nichts. Ich mag Melancholie grundsätzlich, als intensives Gefühlserlebnis, nämlich auch sehr gerne. Außerdem habe ich ja noch einige Kilometer vor mir, während derer ich mich wieder in eine stabile Gemütslage bringen kann. Mir fällt eines meiner für immer absoluten Lieblingsgedichte ein. Eines, das ich so gut leiden mag, dass ich es auswendig gelernt habe:
    Stoppt jede Uhr, lasst ab vom Telefon,
    Verscheucht den Hund, der bellend Knochen frisst, die roh’n.
    Lasst schweigen die Pianos und die Trommeln schlagt,
    Bringt heraus den Sarg, ihr Klager klagt.
    Lasst die Flieger kreisend – Trauer sei Gebot,
    An den Himmel schreiben: Er ist tot.
    Straßentauben gebt um den Hals starre Kreppkragen,
    Polizisten, lasst schwarze Handschuh’ tragen.
    Er war mir Nord, mir Süd, mir Ost und West;
    Des Sonntags Ruh’ und der Woche Stress,
    Mein Tag, mein Gesang, meine Rede, meine Nacht.
    Ich dachte, Liebe währet ewig – falsch gedacht.
    Sterne sind jetzt unerwünscht, will nichts sehn davon,
    Verpackt den Mond, zertrümmert die Sonn’.
    Fegt weg den Wald und des Meeres Flut,
    Nie wird es sein, so wie es war. Nie wieder gut.
    (W. H. Auden)
    Was für eine Gabe, einem so schweren, qualvollen, zerreißenden Gefühl wie der Trauer passende Worte zu schenken. Die jeder versteht, jeden berühren. Die das Unbeschreibliche beschreiben. Das Gedicht wurde meines Wissens bekannt durch den Film Vier Hochzeiten und ein Todesfall. Hm. Ich hätte damals, als der Film in die Kinos kam, natürlich nie gedacht, dass ich eines Tages auch so ein Jahr erlebe. Mit vier Hochzeiten, einem Todesfall und noch ein bisschen mehr Aufregung. Nur noch ein Viertel, dann ist auch dieses Jahr um.
    Und das erste Drittel Strecke liegt auch gleich hinter mir. Die Muskeln sind noch

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