French 75: Ein Rostock-Krimi
stand auf einem kleinen Zettel. Die Sonnenblume machte sich gut in dem ganzen Schnickschnack, meinte er.
Am Gebäude der »Ostseezeitung« bog er nicht nach rechts Richtung Bahnhof ab, sondern fuhr geradeaus. Er hatte sich das vorher nicht überlegt, er hatte nur gemerkt, dass er den Blinker nicht setzen konnte, und hatte vor der Ampel die Fahrbahn gewechselt, um bei Gelbrot über die Kreuzung zu rasen. Kurz darauf bremste er scharf ab und kroch mit Tempo zwanzig durch die Eigenheimsiedlung, in der er zu Hause war. Die Kinder waren in der Schule, Haustiere lagen auf dem Gehweg herum, vereinzelt kam Musik aus den Küchen der Häuser, die alle gleich aussahen. Inseln des Rostocker Mittelstands. Pawel ließ die Kirche links liegen, fuhr an seinem Haus vorbei, querte die Umgehungsstraße und fuhr wenig später auf dem Dierkower Damm Richtung Freihafen.
Er kannte sich. Er konnte jetzt nicht zu Susanne. Er konnte sich überhaupt nicht konzentrieren, und schließlich würde wieder alles in einem wortlosen Streit enden. Er musste warten, bis er einen freien Kopf hatte.
Tina Schneider war schließlich seinetwegen ermordet worden. Er hatte ihre Ängste nicht ernst genommen, er hatte ihr den Schutz verweigert, für den sie ihn bezahlt hatte. Er dachte: Niemals, unter keinen Umständen, nimmt man einem Mann die Arbeit weg. Pawel sah sich im Rückspiegel an und sagte laut: »Diese Rechnung ist noch offen, alter Mann. Die wird jemand begleichen müssen.«
Er kurbelte während der Fahrt das Seitenfenster herunter und warf die verzeihende Morgenröte in den Graben der neu asphaltierten Straße.
Es war gegen neun Uhr morgens, als er seinen Ausweis zückte und die Wache des Freihafens passierte. Auf dem Parkplatz des Bürogebäudes standen schon wieder viele Autos, und auf dem Korridor glaubte Pawel zunächst, er würde so überrascht gemustert, weil er so früh in sein kleines Büro käme. Dann aber wurde ihm schlagartig klar, dass ihn alle anstarrten, weil er einen dreckigen Job hatte: Aus der Bürotür war das Schloss herausgebrochen worden, die Tür selbst stand halb offen, ein Plastikband sicherte das Zimmer: Polizei, betreten verboten . Pawel riss es ab, knüllte es zusammen, sah sich auf dem Flur um und ging in sein Büro.
Der Schreibtisch war umgestoßen worden, um die Unterseite der Schreibplatte abzutasten. Die Lamellen der Jalousie waren heruntergerissen worden, die Gardinenstange lag auf dem Boden. Die beiden Aktenschränke und der Drehstuhl waren auseinandergenommen worden. Der Wippsessel lag in Teilen auf dem dunkelblauen Teppich, und sogar die farblich passende Kaffeemaschine war untersucht worden, doch worauf Pawel am längsten starrte, das war der offene Wandsafe. Er schluckte.
Eine Quittung lag darin. Er könne sich den Inhalt des Safes auf der Polizeiwache abholen. Daneben lag eine Rechtsbelehrung: Die Polizei könne jede Privatwohnung und jeden Dienstraum durchsuchen, wenn Gefahr im Verzug sei. Paragrafendschungel.
War das noch Deutschland? Oder schon Russland? Pawel stieg über die Aktenstapel und lehnte sich gegen das Fenster. Er wollte gar nicht wissen, wie es bei ihm zu Hause aussah. Er wollte Susannes Gesicht nicht sehen. Er war froh, erst einmal hier zu sein. Was hätte er sagen sollen? Zu Hause hätte er sie jetzt in den Arm nehmen müssen, er hätte ihr über die Haare streichen müssen, er hätte Dinge sagen müssen, die sie beruhigten. Verflucht schlechter Zeitpunkt.
Verdammt, wer war denn hier fremdgegangen? Jahrelang! Sie oder er? Er oder sie? Pawel drehte sich um und richtete erst einmal die Zimmertür wieder her, so gut er es eben konnte.
Gut konnte er es nicht. Sie kippte immer wieder nach innen. Er musste sie schließlich mit dem Garderobenständer abstützen. Dann machte er sich ans Aufräumen. Eine knappe Stunde brauchte er, dann stand der Tisch wieder, die Akten waren einsortiert, und die Kaffeemaschine ratterte vor sich hin. Nur die Gardinenstange bekam er nicht mehr an die Decke. Die Schrauben waren kurzerhand mitsamt Dübel herausgerissen worden. Pawel versuchte eine Reparatur erst gar nicht.
Er telefonierte mit dem Hausmeister, ehe er sich mit einer Tasse Kaffee in den Wippsessel legte, die Beine von sich streckte und aus dem Fenster sah. Hellgraue Wolken wanderten langsam vorbei, er ließ den Blick schweifen. Einer der letzten Schneeschauer für dieses Jahr, hoffte er. Pawel schlürfte vom heißen Kaffee und spürte, wie sich Großes nähere.
Er kannte diese innere Vorwarnung. Er
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