French 75: Ein Rostock-Krimi
war lange genug ein Mann der See gewesen, um zu wissen, wann aus einer Vorwarnung eine Gefahr wurde.
Diesmal war es keine Gefahr, die von außen kam, sondern eine, die in ihm aufstieg. Der er sich stellen musste, die er nur beseitigen konnte, wenn er tat, was er tun musste: Pawel Höchst, Privatdetektiv und ehemaliger Hochseefischer, war an der Ehre gepackt worden. Man hatte ihn eingesperrt und verdächtigt. Ihn! Das musste er geraderücken, ein für alle mal.
Er musste auf die Jagd gehen. Er musste seine alte russische Seele und sein neues deutsches Denken in Einklang bringen. Es ging jetzt nicht mehr um weggelaufene Teenager und läufige Katzen, es ging um Pawel Höchsts Würde, die angetastet worden war. Aber es war nicht Rache, die ihn antrieb, er wusste ja, Rache war nur Zeitverschwendung.
Pawel stellte den Hacken des linken Fußes auf den Rand der Sitzfläche, fuhr mit zwei Fingern in die Socke und beförderte den Telefonmitschnitt aus Tina Schneiders Wohnung ans Licht. Wie durch ein Wunder hatten die Polizeibeamten, die ihn durchsucht hatten, seine Füße nicht abgetastet. Er hielt die Minikassette hoch, drehte sie durch die Finger, bis sie herunterfiel. Pawel sah auf sie hinunter und dachte: Wer immer du bist. Du hast Glück, dass du nicht weißt, wer ich bin.
Doch hatte der Mord wirklich etwas mit den Anrufen zu tun? Oder bildete er sich das nur ein? Wollte er sich das nur einreden, weil seine hübsche Klientin davon überzeugt gewesen war? Wer immer da am anderen Ende der Leitung gesessen hatte, Pawel musste ihn finden und in die Zange nehmen.
Das einzige Problem war nur, dass es allein in Rostock neunzehn Callcenter gab. Selbst das kleinste hatte noch dreißig Angestellte. Dieser Anrufservice war ja eine Wirtschaftsmacht, Pawel verlor den Mut immer mehr, je länger er mit seinem PC im Internet surfte. In fast ganz Ostdeutschland gab es flächendeckend solche Center. In Westdeutschland suchte Pawel erst gar nicht.
Er brauchte einen Plan, einen verdammt guten Plan. Pawel schlug mit der Faust auf den Tisch. Er fing die leere Kaffeetasse im letzten Moment ab und stellte sie mittig auf die Tischfläche. Ein Plan, gut und schön, es gab bloß keine Möglichkeit, eine einzelne Stimme im weltweiten Äther zu orten. Wenn es die Stimme eines Fischschwarms gewesen wäre, ja, dann hätte er keine Probleme gehabt! Dafür gab es Fischsonars. Aber Menschen? Wie fing man Menschen? Wie fand man eine menschliche Stimme?
Wie sollte er den Namen zu dieser Stimme finden?
Und wenn er sie gefunden hatte?
Und wenn es wirklich der Meistermörder war, nach dem in ganz Europa gesucht wurde? Die Antwort auf diese Frage kannte Pawel. Er lächelte. Wenn es so war, dann ging es um eine Belohnung: eine Million eisharte Euro.
Hielt er hier wirklich eine Spur in der Hand, die so viel Geld wert war? Sollte er vielleicht jemanden bitten, ihm bei der Recherche zu helfen? Nein. Lieber wollte er das Spurenlesen neu lernen, als sich einen Partner ins Boot zu holen. Ein Begleiter war ein Gebieter. Auf einen Begleiter musste man verdammte Rücksicht nehmen. Ein Begleiter und Geschäftspartner war nicht das, was Pawel Höchst brauchte. Er musste selbst lernen, wie man im Internet Spuren fand.
»Hallo, ja, ich bin es noch einmal wegen der Umfrage, wir hatten ja gestern einen Termin für heute gemacht. Hätten Sie denn nun ein paar Minuten für mich?«
Sehr clever , dachte Pawel. Kein Firmenname! Zufall oder Absicht?
Er hörte den Mitschnitt weiter ab: »Aber nur ein paar!«
Das war die Stimme von Tina Schneider. Pawel spulte und stoppte erst wieder am Ende des Bandes: »So, das waren sie schon, unsere Fragen. Ich danke Ihnen sehr. – Ach, sagen Sie, sind Sie verheiratet?«
»Nein.«
»Haben Sie Kinder?«
»Warum wollen Sie das denn wissen?«
»Nur für die Statistik. Zur anonymen Auswertung.«
»Einen Sohn.«
»Ach …?«
Hier fiel die Stimme des Anrufers aus der Rolle. Hier beschäftigte ihn irgendetwas anderes. Pawel spulte noch einmal zurück, ehe er das Band weiterlaufen ließ: »Ach, Sie haben also einen Jungen und keinen Vater dazu, ja, ja, die modernen Zeiten. Sagen Sie, würden Sie vielleicht noch an einer Umfrage zur Verhütung von Straftaten an Kindern mitmachen? Wir würden Ihnen einen Prospekt zusenden, und ich würde Sie noch einmal anrufen, um Ihre Antworten in meine Liste einzutragen.«
»Was für Straftaten an Kindern?«
»Nicht Straftaten, zur Verhütung von Straftaten.«
»Verstehe, also gut.«
Da hatte
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