French 75: Ein Rostock-Krimi
Gedichte vortrug, die die feinen Damen zum Weinen brachten. Was war die Gemeinsamkeit? Wo war die Verbindung? Pawel murmelte das Gedicht noch einmal vor sich hin, ehe es ihm wie Schuppen von den Augen fiel. Er schrie auf, küsste das gefledderte Buch und schlug sich mit der Faust in die Hand.
Privatdetektiv Pawel Höchst hatte die Lösung gefunden. Er sprang auf, marschierte quer durch die noch blumenlosen Rabatten und freute sich am Anblick der wild Skateboard fahrenden Kinder. Sollte er seine Erkenntnis seinem neuen Freund mitteilen, diesem Pankower Polizisten, oder sollte er alleine weiterermitteln? Er wäre doch schön blöd, wenn er die Früchte seiner Arbeit jetzt verschenken würde. Nein, er machte erst einmal ohne fremde Hilfe weiter. Was war als nächstes zu tun?
Pawel Höchst brauchte einen Internetanschluss. Schnell. Er hatte keine Zeit, ins Büro zu fahren, und lief stattdessen den Weg zurück zur Kröpeliner Straße. In einer der Seitenstraßen wusste er ein Internetcafé. An der Theke ließ er sich Münzen für zwanzig Euro geben und ging zu einem der PCs.
Aber wie sollte er vorgehen? Pawel wusste, dass man sich im weiten Netz nur allzu leicht verlor, wenn man nicht exakt vorging. Informationen waren der Klebstoff dieser virtuellen Spinne. Wieder schlug er den Gedichtband auf und starrte auf die von Hand geschriebenen Zeilen, als die Frau von der Theke zu ihm kam und fragte: »Kaffee? Red Bull?«
»Bier.«
»Alkohol haben wir nicht.«
»Dann Kaffee, viel Kaffee.«
»Kein Problem.«
Sie ließ ihn wieder allein, und Pawel googelte los. Als sie wenig später eine Thermoskanne Kaffee neben den Computer stellte, Zucker und Milch, Tasse und Löffel daneben, reagierte er nicht. Sie stellte ihm auch einen Aschenbecher hin und sah ihm sehnsüchtig ins Gesicht. Pawel aber hatte nur Augen für den grellen Kleber der gemeinen Spinne.
»Immer gern«, sagte die übermüdete Frau leise, ehe sie zur Theke zurückging.
XXVIII
In Marseille bestieg Tobias kurzerhand die Fähre nach Ägypten, obwohl er doch in Marokko einen Literaturpreis entgegennehmen sollte. Vom Krankenhaus, in dem Rimbaud vor vielen Jahrzehnten verstorben war, hatte er noch ein Foto gemacht, ehe er sich entschieden hatte, das Schiff nach Marokko nicht zu besteigen. Er stand an der Heckreling und sah Südfrankreich kleiner werden. Europa verschwand. Der Poet sah dem Eintauchen des Kontinents ins Nichts zu und freute sich auf den Nil.
Er wollte sich durch Ägypten schippern lassen und zu dem Ort kommen, an dem der französische Dichter als einer der ersten Franzosen gelebt und sich mit Waffengeschäften über Wasser gehalten hatte. Tobias grinste und meinte, über Wasser gehalten, das klinge gut.
In Wahrheit war Rimbaud mit dem Verkauf veralteter Gewehre an die vielen verschiedenen afrikanischen Stämme so reich geworden, dass ihm das Gewicht der Goldmünzen, die er immer an der Hüfte mit sich herumtrug, beide Knie kaputtgemacht hatte. Mit geschwollenen Beinen hatte er sich auf einer Trage raus aus Afrika bringen lassen müssen, um sein Leben wenig später in Marseille zu beenden.
Doch noch heute sollte der Name Rimbauds in einigen Orten Somalias etwas gelten; Tobias wollte hören, wie viel. Er spuckte ins Heckwasser und ging in die Kantine der Fähre, um sich auf einer Sitzbank auszustrecken. Halb liegend, halb sitzend sah er eine Weile aus dem Fenster, ehe er seine alte Reisetasche zu sich zog und darin herumkramte.
Er holte eine Ausgabe mit Rimbaud-Gedichte heraus, blätterte darin herum und kam schnell zu den beiden Seher-Briefen, die als das Evangelium der Lyriker galten. Sie waren ihnen heilig.
Hätten die alten Schafsköpfe noch etwas anderes vom Ich gefunden als falsche Bedeutungen, dann müssten wir nicht diese Millionen Gerippe wegfegen, die seit unendlichen Zeiten die Erzeugnisse ihres einäugigen Geistes aufstapeln, indem sie sich als Autoren ausschreien!
In Griechenland, sagte ich: Verse, Dichtungen, Rhythmen: Die Aktion. […]
So viele Egoisten heißen sich Autoren; viele andere schreiben sich ihren geistigen Fortschritt zu! – Aber es handelt sich darum, die Seele ungeheuerlich zu machen: nach Art der Comprachicos, ha! […]
Mag er beim Anprall an die unerhörten und unnennbaren Dinge verrecken: es kommen andere furchtbare Arbeiter. Sie werden an den Horizonten beginnen, wo er hingesunken ist. […]
Der Dichter möge die Menge des Unbekannten abgrenzen, wachwerdend in seiner Zeit, in der universalen
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