French, Tana
öfter mal vorbeischauen,
aber ich zieh auf keinen Fall hier ein.« Ich blickte mich amüsiert im Zimmer
um. »Manche von uns führen nämlich ihr eigenes Leben, wenn du verstehst, was
ich meine.«
Wieder
dieses Flackern, aber er hielt seine Stimme ruhig. »Ich hab dich nicht gebeten,
irgendwo einzuziehen.«
Ich zuckte
die Achseln. »Tja, irgendeiner muss aber hier sein. Vielleicht wusstest du das
noch nicht, aber Dad ... Der will auf keinen Fall in ein Heim.«
»Und auch
dazu hab ich dich nicht um deine Meinung gebeten.«
»Natürlich
nicht. Aber wenn ich dir einen Tipp geben darf: Er hat mir gesagt, dass er
einen Notfallplan hat. Wenn ich du wäre, würde ich seine Tabletten abzählen.«
Der Funke
flammte auf. »Moment mal. Willst du mir was über meine Pflichten Dad gegenüber
erzählen? Du?«
»Himmel,
nein. Ich geb dir nur eine kleine Info. Schließlich will ich nicht, dass du mit
Schuldgefühlen leben musst, falls da was schiefläuft.«
»Was für
Schuldgefühle denn? Zähl du doch seine Tabletten, wenn du das für nötig
hältst. Ich hab mein Leben lang für euch alle gesorgt. Damit ist jetzt
Schluss.«
Ich sagte:
»Weißt du was? Früher oder später musst du dich mal von dieser fixen Idee
verabschieden, dass du unser aller Retter in der Not warst. Versteh mich nicht
falsch, es ist ganz unterhaltsam, dir dabei zuzusehen, aber zwischen Illusion
und Wahnvorstellung verläuft ein schmaler Grat, und auf dem tänzelst du rum.«
Shay
schüttelte den Kopf. »Du hast keine Ahnung«, sagte er. »Du hast absolut keine
Ahnung.«
Ich sagte:
»Nein? Kevin und ich haben uns neulich mal darüber unterhalten, wie du für uns
gesorgt hast. Und weißt du, was uns als Allererstes einfiel? Dass du uns beide
im Keller von Nummer sechzehn eingesperrt hast. Da war Kev wie alt, zwei,
höchstens drei? Selbst dreißig Jahre später wollte er noch nicht da reingehen.
In der Nacht damals hatte Kevin ganz doll das Gefühl, dass du für ihn sorgst.«
Shay warf
sich nach hinten, was den Stuhl gefährlich ins Wanken brachte, und lachte auf.
Das Lampenlicht verwandelte seine Augen und den Mund in formlose schwarze Löcher.
»In der Nacht«, sagte er. »Herrgott, ja. Willst du wissen, was in der Nacht
passiert ist?«
»Kevin hat
sich in die Hose gemacht. Er war praktisch katatonisch. Ich hab mir die Hände
halb zerfetzt, weil ich versucht hab, die Bretter von den Fenstern zu reißen,
damit wir rauskonnten. Das ist passiert.«
Shay
sagte: »Dad war an dem Tag gefeuert worden.«
Dad wurde
regelmäßig gefeuert, als wir noch Kinder waren, bis ihn so gut wie keiner mehr
einstellte. Diese Tage waren uns allen ein Gräuel, vor allem weil er meistens
zusammen mit der Kündigung einen Wochenlohn bekam. Shay sagte: »Es wird spät,
er ist immer noch nicht zu Hause. Also bringt Ma euch ins Bett - da haben wir noch
zu viert auf den Matratzen im hinteren Zimmer geschlafen, ehe dann noch Jackie
kam und die Mädchen ein eigenes Zimmer kriegten -, und sie schimpft und zetert
vor sich hin: Diesmal lässt sie ihn vor verschlossener Tür stehen, soll er doch
in der Gosse schlafen, wo er hingehört, hoffentlich wird er zusammengeschlagen
und überfahren und ins Gefängnis gesteckt, alles auf einmal. Kevin flennt,
weil er zu seinem Daddy will, weiß der Geier, wieso, und sie sagt zu ihm, wenn
er nicht die Klappe hält und endlich einschläft, kommt Daddy nie wieder nach
Hause. Ich frage, was wir dann machen sollen, und sie sagt: >Dann bist du
der Mann im Haus; dann musst du für uns sorgen. Das könntest du sowieso besser
als dieser Schweinehund.< Wenn Kev zwei war, wie alt war ich dann? Acht,
oder?«
Ich sagte:
»Wieso hab ich mir schon gedacht, dass du am Ende in dieser Geschichte der
Märtyrer bist?«
»Und dann
geht Ma schlafen: Träumt was Schönes, Kinder. Ich weiß nicht, wie spät es ist,
als Dad nach Hause kommt und die Tür eintritt. Ich und Carmel rennen ins
Wohnzimmer, und da schmeißt Dad das Hochzeitsporzellan gegen die Wand, ein Teil
nach dem anderen. Ma hat das ganze Gesicht voll Blut, sie schreit ihn an, er
soll aufhören, und beschimpft ihn wüst. Carmel rennt zu ihm und will ihn
festhalten, und er scheuert ihr eine, so fest, dass sie durchs Zimmer fliegt.
Er fängt an zu toben, wir verdammten Kinder hätten sein Leben ruiniert, er
sollte uns ertränken wie Katzen, uns die Kehle durchschneiden, wieder ein
freier Mann sein. Und glaub mir: Es war ihm bitterernst.«
Shay goss
sich noch einen Fingerbreit Whiskey ein und hob die
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