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French, Tana

French, Tana

Titel: French, Tana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sterbenskalt
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Brille auf der Nase: Ich war ganz selbstverständlich davon
ausgegangen, dass ich allenthalben von Liebe umgeben war. Ich glaube, ich
dachte, so verrückt, wie Rosie und ich nacheinander waren, musste die Luft
davon erfüllt sein wie von einer schimmernden Droge, besonders in jener Nacht,
als alles zusammenkam, dass sie die Liberties durchströmte und alle, die sie
einatmeten, in Ekstase versetzte, so dass erschöpfte Fabrikarbeiter im Schlaf
nach ihren Frauen griffen, Teenager sich plötzlich an Ecken küssten, als würde
ihr Leben davon abhängen, alte Paare ihre Prothesen ausspuckten und sich
gegenseitig die Flanellnachthemden vom Leib rissen. Ich war ganz
selbstverständlich davon ausgegangen, dass ich ein Paar hörte, das es
miteinander trieb. Aber vielleicht hatte ich mich ja getäuscht.
    Es kostete
mich immense Anstrengung, auch nur für eine Sekunde anzunehmen, dass sie doch
auf dem Weg zu mir gewesen war. Falls ja, dann bedeutete der Abschiedsbrief,
dass sie höchstwahrscheinlich Kevins Strecke genommen hatte, bis zu Nummer 16.
Und der Koffer bedeutete, dass sie das Haus nie mehr verlassen hatte.
    »Komm«,
sagte ich und schnitt Kevin das Wort ab, der noch immer in Erinnerungen
schwelgte (»... mir nicht so viel Mühe gegeben, aber sie hatte einfach mehr
Holz vor der Tür als ...«): »Wir gehen spielen, und zwar da, wo Mammy es uns
immer verboten hat.«
     
    Nummer 16
war in einem noch schlechteren Zustand, als ich gedacht hatte. In den Stufen
vor dem Haus waren tiefe Furchen, weil die Arbeiter die Kamine
darübergeschleift hatten, und irgendwer hatte die schmiedeeisernen Geländer auf
beiden Seiten geklaut, oder aber der Besitzer hatte die auch verkauft. Das
bombastische Schild mit der Aufschrift »PJ Lavery Builders« war in den Schacht
vor den Kellerfenstern gefallen, und keiner hatte es für nötig befunden, es
wieder herauszuholen.
    Kevin
fragte: »Was machen wir hier?«
    »Das
wissen wir noch nicht genau«, sagte ich, was allerdings stimmte. Ich wusste
lediglich, dass wir Rosie folgten, uns Schritt für Schritt vortasteten, um zu
sehen, wohin sie uns führte. »Wir werden es schon noch rausfinden, ja?«
    Kevin
stieß die Tür auf und beugte sich behutsam vor, um hineinzuspähen. »Wenn wir
nicht vorher schon im Krankenhaus landen.«
    Der
Hausflur war ein Gewirr von sich kreuzenden Schatten, mehrfach überlagert, wo
schwaches Licht aus jedem Winkel einfiel: aus den leeren Räumen mit den
halbabgerissenen Türen, durch die dreckige Scheibe des Fensters oben im Flur,
durch das Treppenhaus zusammen mit dem kalten Luftzug. Ich holte meine
Taschenlampe raus. Ich bin zwar offiziell nicht mehr im Außeneinsatz, aber
dennoch gern für das Unerwartete gerüstet. Ich habe mich für meine Lederjacke
entschieden, weil sie so bequem ist, dass ich sie praktisch nie ausziehen
muss, und dank ihrer vielen Taschen Platz für die wichtigsten Utensilien
bietet: Fingerabdruck-Fifi, drei kleine Beweismittelbeutel aus Plastik,
Notizbuch und Stift, Schweizer Messer, Handschellen und eine schlanke,
leistungsstarke Maglite. Mein Colt Detective Special steckt in einem extra
angefertigten Holster, wodurch ich ihn schön eng im Kreuz tragen kann, unter
dem Bund meiner Jeans und unsichtbar.
    »Ich mache
keine Witze«, sagte Kevin, der die dunkle Treppe hinaufblinzelte. »Das gefällt
mir nicht. Einmal niesen, und das ganze Haus stürzt über uns zusammen.«
    »Das
Dezernat hat mir einen Peilsender im Hals implantiert. Die buddeln uns wieder
aus.«
    »Ernsthaft?«
    »Nein.
Reiß dich zusammen, Kev. Uns passiert schon nichts.« Ich knipste meine
Taschenlampe an und betrat Nummer 16. Ich spürte die Staubkörnchen, die seit
Jahrzehnten in der Luft hingen, spürte, wie sie sich rührten und regten, in
kalten kleinen Wirbeln um uns herum aufstiegen.
    Die
Treppenstufen knarrten und bogen sich unheilvoll unter unserem Gewicht, doch
sie hielten. Ich fing mit dem Wohnzimmer ganz oben an, wo ich Rosies Brief
gefunden hatte und wo, laut Ma und Dad, die polnischen Arbeiter den Koffer
entdeckt hatten. Ein großes unregelmäßiges Loch klaffte an der Stelle, wo sie
den Kamin herausgerissen hatten. Die Wand ringsherum war voll mit verblichenen
Schmierereien: wer wen liebte, wer schwul war und wer sich verpissen sollte.
Irgendwo an dem Kamin, jetzt auf dem Weg zu irgendeiner Villa im schicken
Ballsbridge, prangten meine und Rosies Initialen.
    Der Boden
war übersät mit dem üblichen zu erwartenden Kram, Dosen und Zigarettenkippen
und

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