French, Tana
Dutzende starre Augenpaare folgten mir die Straße
hoch zu Nummer 16.
Der
kräftige Polizist am Flatterband warf einen Blick auf meinen Ausweis und sagte:
»Detective Kennedy ist im Garten. Geradeaus durch den Flur und hinten durch die
Tür.« Ich war ihm angekündigt worden.
Die
Hintertür stand offen, ließ ein gespenstisches, graues Licht schräg in den Flur
fallen. Die vier Männer im Garten sahen aus wie eine Szene aus einem Gemälde
oder einem Morphiumtraum. Die stämmigen Jungs von der Leichenhalle in ihren
makellos weißen Kitteln stützten sich geduldig inmitten von hohem Unkraut und
kaputten Flaschen und kabeldicken Brennnesseln auf ihre Trage; Rocky,
scharfkantig und hyperreal, den gegelten Kopf gebeugt, während sein schwarzer
Mantel gegen die verwitterte Backsteinmauer schlug, ging gerade in die Hocke
und streckte eine behandschuhte Hand aus; und Kevin. Er lag auf dem Rücken, den
Kopf zum Haus gedreht und die Beine in falschen Winkeln gespreizt. Ein Arm lag
quer über der Brust, der andere war unter ihm angewinkelt, als hätte ihn jemand
in den Polizeigriff genommen. Sein Kopf war wild nach hinten verdreht und von
mir abgewandt, und ringsherum auf der Erde war etwas unregelmäßig schwarz
Verklumptes zu sehen. Rockys weiße Finger schoben sich behutsam in Kevins
Jeanstasche. Der Wind pfiff, ein hohes, irres Geräusch, über die Mauer.
Rocky
hörte mich als Erster, oder er spürte mich: Er blickte hoch, riss die Hand von
Kevin weg und richtete sich auf. »Frank«, sagte er und kam auf mich zu. »Mein
herzliches Beileid.«
Er
streifte sich den Handschuh ab, um mir die Hand zu schütteln. Ich sagte: »Ich
möchte ihn sehen.«
Rocky
nickte und trat zurück, machte mir den Weg frei. Ich kniete mich auf Erde und
Unkraut, neben Kevins Leiche.
Der Tod
hatte sein Gesicht einfallen lassen, unter den Wangenknochen und um den Mund.
Er sah vierzig Jahre älter aus, als er je werden würde. Die nach oben gewandte
Seite seines Gesichts war eisweiß; die untere Seite, wo sich das Blut gesammelt
hatte, war lila marmoriert. Ein verkrusteter Blutfaden kam ihm aus der Nase,
sein Mund stand offen, und ich konnte sehen, dass seine Vorderzähne abgebrochen
waren. Sein Haar war verklebt und dunkel vom Regen. Ein Augenlid hing halb über
ein trübes Auge, wie ein listiges, albernes Zwinkern.
Mir war,
als wäre ich unter einen gewaltigen, prasselnden Wasserfall gestoßen worden,
als würde mir dessen Wucht den Atem rauben. Ich sagte: »Cooper. Wir brauchen
Cooper.«
»Der war
schon da.«
»Und?«
Ein kurzes
Schweigen. Ich sah, wie die Jungs von der Leichenhalle sich Blicke zuwarfen.
Dann sagte Rocky: »Er meint, dein Bruder ist entweder an einem Schädelbruch
oder an einem Genickbruch gestorben.«
»Wie?«
Rocky
sagte sanft: »Frank, die Jungs müssen ihn jetzt wegbringen. Komm rein, lass
uns da reden. Sie kümmern sich gut um ihn.«
Er
streckte eine Hand nach meinem Ellbogen aus, hütete sich aber, mich anzufassen.
Ich warf einen letzten Blick auf Kevins Gesicht, das leere Zwinkern, das
schwarze Blutrinnsal und die leicht schiefe Augenbraue, die ich jeden Morgen
als Erstes gesehen hatte, neben mir auf dem Kissen, als ich sechs Jahre alt
war. Dann sagte ich: »Okay.« Als ich mich abwandte, hörte ich das
durchdringende Geräusch des Reißverschlusses, als die Jungs den Leichensack
öffneten.
Ich
erinnere mich nicht, wie ich wieder ins Haus kam oder dass Rocky mich die
Treppe hochführte, um den Jungs Platz zu machen. Pubertärer Mist wie mit den
Fäusten gegen Wände schlagen würde nicht ausreichen. Ich war so wütend, dass
ich eine Sekunde lang dachte, ich wäre blind geworden. Als meine Augen wieder
klar wurden, waren wir im obersten Stockwerk, in einem der hinteren Räume, die
Kevin und ich am Samstag unter die Lupe genommen hatten. Der Raum war heller
und kälter, als ich in Erinnerung hatte: Irgendwer hatte die untere Hälfte des
dreckigen Schiebefensters hochgeschoben, so dass eisiges Licht hereinströmte.
Rocky sagte: »Geht's?«
Ich
brauchte es so dringend, wie ein Ertrinkender Luft braucht, dass er mit mir von
Cop zu Cop sprach, dieses schreiende Chaos in die präzisen, nüchternen Worte
eines vorläufigen Berichts packte. »Was haben wir?«
Es mag ja
so manches mit Rocky nicht stimmen, aber er ist einer von uns. Ich sah, dass er
begriff. Er nickte und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand, machte es
sich bequem. »Dein Bruder wurde zuletzt um zwanzig nach elf gestern Nacht
gesehen. Er, deine
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