French, Tana
Schwester Jacinta, dein Bruder Seamus, deine Schwester
Carmel und ihre Familie hatten bei deinen Eltern zu Abend gegessen, wie
gewöhnlich - sag Bescheid, wenn ich dir irgendwas erzähle, was du schon weißt.«
Ich
schüttelte den Kopf. »Red weiter.«
»Carmel
und ihr Mann sind mit ihren Kindern gegen acht nach Hause gefahren. Die anderen
blieben noch etwas länger, haben ferngesehen und sich unterhalten. Alle außer
deiner Mutter haben sich im Laufe des Abends ein paar Dosen Bier genehmigt.
Nach übereinstimmenden Aussagen waren die Männer angeheitert, aber keineswegs
betrunken, und Jacinta hatte nur zwei intus. Kevin, Seamus und Jacinta haben
sich kurz nach elf von deinen Eltern verabschiedet. Seamus ist hoch in seine
Wohnung, und Kevin hat Jacinta das Stück die Smith's Road runter bis zur Ecke
New Street zu ihrem Wagen gebracht. Sie bot Kevin an, ihn nach Hause zu fahren,
aber er sagte, er wolle zu Fuß gehen, um den Alkohol abzubauen. Sie nahm an,
dass er den Weg zurückgehen würde, den sie gekommen waren, die Smith's Road
hoch, vorbei am Faithful Place, durch die Liberties und am Kanal entlang zu
seiner Wohnung in Portobello, aber das kann sie natürlich nicht beweisen. Er
wartete, bis sie eingestiegen war, sie haben sich zum Abschied zugewinkt, und
sie ist losgefahren. Das Letzte, was sie von ihm gesehen hat, war, wie er sich
umdrehte und die Smith's Road hochging. Danach wurde er, soweit wir bislang
wissen, nicht mehr lebend gesehen.«
Gegen
sieben hatte er es aufgegeben, mich anzurufen. Ich hatte ihn so gründlich
ignoriert, dass er es irgendwann sinnlos fand, es noch einmal zu versuchen, ehe
er auf die saublöde Idee verfiel, die Sache, worum es dabei auch immer ging,
selbst in die Hand zu nehmen. »Aber er ist nicht nach Hause gegangen.«
»Sieht
ganz so aus. Die Handwerker sind heute in dem Haus nebenan, deshalb wurde dein
Bruder erst am späteren Morgen gefunden, von zwei Jungs namens Jason und Logan
Hearne. Die sind in Nummer sechzehn rein, um sich den Keller anzusehen, und
haben dann den Schock ihres Lebens gekriegt, als sie zum Flurfenster
rausschauten. Die beiden sind dreizehn und elf, und warum sie nicht in der
Schule waren -«
»Ich
persönlich«, sagte ich, »bin heilfroh, dass sie nicht in der Schule waren.« Da
Nummer 14 und Nummer 12 leer standen, hätte niemand Kevin von einem Fenster
nach hinten raus entdecken können. Er hätte dort wochenlang liegen können. Ich
habe schon Leichen nach so langer Zeit gesehen.
Rocky warf
mir einen raschen, entschuldigenden Seitenblick zu. Er war abgeschweift. »Ja«,
sagte er. »Hast ja recht. Jedenfalls, sie sind nichts wie raus da und zu ihrer
Mutter gerannt, die uns alarmiert hat und anscheinend die halbe Nachbarschaft.
Ms Hearne hat den Verstorbenen auch als deinen Bruder erkannt und gleich deine
Mutter verständigt, die ihn eindeutig identifiziert hat. Tut mir leid, dass sie
das sehen musste.«
Ich sagte:
»Meine Ma ist zäh.« Hinter mir, irgendwo unten, ertönten ein Poltern, ein
Ächzen und ein schabendes Geräusch, als die Trage durch den schmalen Flur
manövriert wurde. Ich drehte mich nicht um.
»Cooper
schätzt den Todeszeitpunkt auf ungefähr Mitternacht, plus, minus zwei Stunden.
Berücksichtigt man die Aussagen deiner Eltern und Geschwister und die
Tatsache, dass dein Bruder in denselben Kleidungsstücken aufgefunden wurde, die
er laut Beschreibung deiner Familie gestern Abend anhatte, so können wir wohl
davon ausgehen, dass er, nachdem er Jacinta zu ihrem Wagen gebracht hatte, auf
direktem Wege zum Faithful Place zurückgegangen ist.«
»Und was
dann? Wie zum Teufel ist er hier mit gebrochenem Genick gelandet?«
Rocky
holte Luft. »Aus irgendeinem Grund«, sagte er, »ist dein Bruder in dieses Haus
gekommen und dann hoch in diesen Raum. Dann ist er irgendwie aus dem Fenster
gefallen. Wenn es ein Trost für dich ist, Cooper sagt, er war wahrscheinlich
auf der Stelle tot.«
Sterne
explodierten vor meinen Augen, als hätte ich einen Schlag auf den Kopf
gekriegt. Ich fuhr mir mit einer Hand durchs Haar. »Nein. Das ergibt keinen
Sinn. Vielleicht ist er von der Gartenmauer gefallen, von einer der Mauern —«
Einen konfusen Moment lang sah ich Kev mit sechzehn, wie er geschmeidig über
dunkle Gartenmauern setzte, auf der Jagd nach Linda Dwyers Brüsten. »Aus dem
Fenster hier, das ergibt keinen Sinn.«
Rocky
schüttelte den Kopf. »Die Mauern auf beiden Seiten sind wie hoch? Zwei zwanzig,
höchstens zwei vierzig? Laut Cooper deuten
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