Fressen ihn die Raben - Alpen Krimi
Manfred. Sollte sie ihm Bescheid geben, oder ihn lieber noch etwas schmoren lassen?
»Und, was hast du heute vor?« Hubert setzte sich neben sie, nur einen Becher Kaffee in der Hand. »Ich selbst werd, glaub ich, wieder absteigen. Irgendwer muss ja Geld verdienen.« Er grinste sie an, und Elke wiegte kauend den Kopf hin und her.
»Mal sehn, vielleicht schau ich mir mal den Ledererkopf an, weißt du, der liegt doch vor den Funtenseetauern. Scheint mir nicht so hoch zu sein, und für den Tag heute kann das ein schöner Weg werden.« Das hatte jetzt, fand sie, ganz bergsteigerisch geklungen, so als ob sie nichts anderes machte, als Gipfel abzuhaken. Dieses wortreiche In-die-Brust-Werfen war für sie spaßig. Belustigt schaute sie auf zwei junge Männer, die bereits in voller Ausrüstung, mit Karabinerhaken, Helmen, Seilen und Gurten am Rucksack die Stube betraten. Die sehnigen Typen mit verbrannten Nasen, an denen sich die Haut pellte, balancierten unbeholfen ihre Tabletts.
»Hast du heute Morgen schon den Johannes gesehen?«, wollte Elke von Hubert wissen, doch der schüttelte den Kopf. »Den hab ich nämlich gestern getroffen, da ist er nach Berchtesgaden abge stiegen. Er habe ein Satellitentelefon zu kaufen, meinte er, und gehe danach gleich wieder rauf. Eine Kondition muss der haben, meine Herren.«
Nachdenklich schaute er auf. »Die Polizei wird er auch gerufen haben, wegen des Schädels. Ich schätze, dann wird bald der nächs te Hubschrauber landen. Die holen wohl so nach und nach die Leiche in Einzelteilen ab.«
»Ja, bloß was für eine Leiche? Wer ist das, der da zerteilt wurde?« Diese Frage hatte Elke sich eher selbst gestellt. Hatte Gundi sie nicht eingeladen, einen Blick auf den Schädel zu riskieren? Rechtsmedizinerin, dachte sie, dass ich nicht lache. Wie bin ich auf so eine Legende gekommen? Nichts ekelt mich mehr als verwesende Tote, von zerhackten ganz zu schweigen.
Sie überdachte den Gedanken ihres Zimmergenossen, dass eigent lich mit einem neuerlichen Polizeibesuch zu rechnen sei. Das könnte interessant werden, fand sie.
Die meisten Gäste hatten inzwischen ihr Frühstück beendet und brachen auf. Erneut entstand eine Unruhe, wie sie vorher an der Küchentheke geherrscht hatte. Hubert hatte sich zu den beiden gesichtsverbrannten Bergsteigern gesetzt und führte ein letztes Fachgespräch über Scharten und Klettersteige.
Elke blickte um sich und sah Moni, die im Türrahmen stand. Ihre Blicke trafen sich und die Polizistin war sich sicher, dass die Küchenhilfe sie schon eine Zeit lang beobachtet hatte. Die betrat die Stube, lud einige stehen gelassene Teller und Becher auf ein Tablett und näherte sich langsam. Elkes Oberkörper straffte sich, und sie klemmte ihre Hände zwischen Sitz und Oberschenkel.
»Grüß dich«, murmelte Moni und setzte ihre Geschirrlast ab. Der Stubenraum war fast leer.
Die Kommissarin erwiderte den Gruß und lächelte. Jetzt gilt es, dachte sie. Wie weit ist mein Versuchsballon wohl geflogen?
»Du hast da«, die Hilfskraft räusperte sich und nahm am Tisch Platz, »gestern Abend was gesagt. So einen fremden Spruch. Woher kennst du den?« Ihr Blick tastete sich zaghaft von der Tischplatte hoch bis zu Elkes Augen und blieb dort hängen. Elke zuckte die Schultern und gab vor, kurz zu überlegen.
»Du meinst Lha Gyalo?«
Moni nickte.
»Den Göttern den Sieg. Find ich einen schönen Wunsch. Und hier in den Bergen sowieso. Den hab ich aus einem Bildband über Tibet. Hab ich das korrekt ausgesprochen?« Sie hatte ihre Hände befreit und stützte nun ihr Kinn auf.
Moni bejahte erneut, wirkte aber enttäuscht. »Ja, war richtig. Manche übersetzen das auch mit: Die Götter werden siegen. Das ist so eine Art Schlachtruf, soll Mut machen und wird benutzt, wenn gefährliche Pässe überquert werden.«
»Du verstehst also Tibetisch. Bist du denn oben in Tibet gewesen? Ich dachte, du wärst nur bis Sikkim gekommen? Na ja, was heißt nur? Ist auch schon weit weg und hoch, für eine Achtzehnjährige.«
Moni starrte vor sich hin, in Gedanken vertieft. »Ja, von da kenn ich den Spruch.«
»Bei was für Leuten hast du denn da gewohnt?« Elke erinnerte sich an das Gespräch, das beide auf der Holzbank draußen geführt hatten. »Was haben die denn so gemacht?«
Die Küchenhilfe stand auf und stapelte Geschirr auf ihr Tablett. »Nett waren die; hilfsbereit und verschwiegen. Für Sikkim brauchst eine Sondergenehmigung, die ich nicht hatte. Musste mich immer vor den
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