Fressen ihn die Raben - Alpen Krimi
kommen die raus und krabbeln durchs Gras und über die Wege. Die mögen es feucht.« Elke hatte sich hingehockt und war dabei fast umgefallen, als der Rucksack sich verschob.
»Ist wohl diesem hier zum Verhängnis geworden. Da, sieh mal, die Stelle am Schwanz. Sieht aus, als habe da jemand draufgetreten.« Sie zeigte auf eine Kerbe, die Teil eines Sohlenprofils sein konnte.
»Ja, die Gefahr lauert überall in den Bergen. Auf Tiere wie auf Menschen. In diesem Jahr musste die Rettung schon zwölf Leute aus dem Berg holen, fünf starben bei unvorsichtigen Klettereien.«
Sie setzten ihren Weg fort. »Und du, was arbeitest du?«, wollte Hubert von ihr wissen. Sie warf einen letzten Blick auf den verdorrten, platt getretenen Salamander.
»Rechtsmedizin. In Köln.« Er sah auf und pfiff. »Was, ist das so besonders?« Elke bedauerte schon die spontane Eingebung. Sie hatte verheimlicht, bei der Polizei zu sein, um Aufmerksamkeit und schräge Kommentare zu vermeiden. Und jetzt fand der Kerl ihren Aliasberuf so interessant.
»Na hör mal, da hast du doch sicher was zu berichten. Quincy in der Berghütte, das hat man nicht alle Tage. Da gibt’s bestimmt spannende Fälle zum Hören.« Hubert ging jetzt vor ihr, und sein scharfer Schweißgeruch wehte auf Elke zu. Wie ein Puma im Zoo, dachte sie, verzog die Nase und brachte etwas Abstand zwischen ihn und sich. Konzentriert versuchte sie, sich an die letzten Besuche in der Rechtsmedizin zu erinnern, die schon lange zurücklagen. Im Rahmen eines Praktikums war das damals gewesen und schlecht war ihr auch geworden. Wie im Film. Aber das hatte nun mal zur Ausbildung gehört. Inzwischen arbeitete sie in weniger blutiger Umgebung. Was also konnte sie dem Journalisten erzählen? Bei seinem Berufsstand war Vorsicht angebracht.
»Was war das denn für ein Abschied, unten in Sankt Nepomuk?« Elke wollte ablenken. »Ich hab dich da mit einem Ober gesehen. Handschlag und so. Gibt’s da nichts Saftiges zu berichten? Der Laden ist doch sicher eine Gelddruckmaschine und hat Neider.«
»Das war der Benny Hocheck, der Sohn vom Pächter. Er muss seinem Vater helfen, aber ohne richtig zu wollen. Das Wirteln liegt dem nicht. Er träumt von Kunstevents, will Berge anstrahlen, Technomusik in steilen Tälern spielen und Bergwasser einfärben. Effekte halt. Aber keiner hört ihm richtig zu. Und ehrlich, das, was er bis jetzt bei uns drunten zusammengestöpselt hat, war ein rechter Krampf. Gott sei Dank mach ich nicht die Kulturseite im Berch tesgadener Anzeiger. Der Hocheck-Sohn gilt leider als nicht talen tiert. Und das ist jedenfalls schon mal kein Spaß, bei dem Vater, das kannst glauben. Der Alte ist ein harter Brocken, der mag kein buntes Rumspielen und will nur Erfolge sehn. Als sein Sohn mich drunten am Kirchlein bemerkte, hat er mich direkt angesprochen. Er versucht’s immer wieder, man kennt sich halt. Will seine Kontakte nutzen, in die Zeitung, hat neue Ideen. Jetzt träumt er, wie der Christo den Königssee zum Objekt zu machen, wie er sagte. Spinnerter Einfall. Fünftausend rote Regenschirme sollen auf dem Wasser schwimmen. Na weiß-blaue, das wär ja noch gegangen. Aber rote? Der Alte kriegt einen Schlag, wenn der das hört.«
Während des langsamen Aufstiegs atmete Elke schwer, sog trotzdem immer wieder die harzige Luft tief ein, wenn der Abstand zu Hubert groß genug war.
»Was sind das eigentlich für Tannenbäume, die hier oben wachsen?«
»Zirbeln sind das. Zirbelkiefern, genau gesagt. Sehr gutes, aromatisches Holz. Der Duft soll dich besser schlafen lassen, heißt es. Er senke die Herzfrequenz um dreitausendfünfhundert Schläge die Nacht. Na, wer’s glaubt. Jetzt verkaufen sie schon Holzschnitzel in Kissen. So oder so ist die Zirbel ein super Bauholz. Hier oben machen die alles draus, und natürlich auch aus der Lärche.«
Elke nickte stumm. Sie genoss die Luft und den Blick auf die Berge. Es musste schön sein, diese Welt für sich zu haben. Da wehte sie erneut eine Schweißfahne ihres Begleiters an.
Besucher
Die wenigen Streifenbesatzungen der Polizei Berchtesgaden wa ren überfordert. Die Stadt oberhalb des Königssees mit ihren umliegenden Dörfern kam auf vierundzwanzigtausend Einwohner und bot für die Touristen sogar etwas mehr, nämlich fünfundzwanzigtausend Gästebetten. Damit war der Ort keine Kleinstadt mehr, doch die bescheidene Polizeipräsenz schien in Ermangelung an zu Gewalt- und Straftaten neigenden Bewohnern ausreichend. Aber bei der Explosion
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