Frettnapf: Roman
Redakteuren die Möglichkeit genommen, ab und zu ihre Lieblingslieder in eine Sendung zu schmuggeln, und brachte stattdessen die Heavy Rotation, das ständige Abspielen der gleichen Titel. Unmaßgebliche Dinge wie Musikgeschmack oder einfach die Lust auf einen bestimmten Song waren obsolet geworden, nun sind Marktforschung und On-Air-Qualitätsmanagement für die Musikauswahl zuständig. Zur selben Zeit wurden lauter gleich klingende, persönlichkeitsschwache Claim-Schreier in die Sendestudios gepflanzt, die gestandenen Moderationspersönlichkeiten verschwanden nach und nach. Was eigentlich eine große Chance für mich gewesen wäre– doch mir hat ja leider der Enthusiasmus gefehlt, alle drei Songs so was wie » Das war Chumbawumba mit Tubthumping, und wir machen gleich weiter mit Will Smith und den Men in Black, hier auf Energy 93,3, the power of music!« zu sagen.
Ich habe es zwar versucht und mich einen Abend bei Energy ins leere Studio 2 gestellt, um dort ein Demoband meiner Moderationskünste anzufertigen, doch dieses Vorhaben ebenso spontan beendet, wie ich es in Angriff genommen hatte. Ich hätte sicherlich wochenlang jeden Abend eine oder zwei Stunden Sendungen auf Tape produzieren müssen, um damit dann beim Programmchef anzuklopfen. Der mir dann sicherlich gesagt hätte, dass ich auf einem guten Weg bin, aber noch ein paar Wochen weiterüben soll. Angesichts der Langeweile, die ich mir selbst bei meinem ersten Versuch beschert habe, war es also nur konsequent, den Anlauf zu beenden, statt einen Haufen Zeit zu vergeuden.
Leider hat mich Jerry Praller, der Programmchef von Hip FM jedoch gebeten, irgendwas mitzubringen, das er sich von mir anhören kann. Um seinem Wunsch zu entsprechen, habe ich gestern noch bis spät in die Nacht versucht, mit dem schäbigen Mikrofon an meinem Laptop ein paar Ansagen aufzunehmen, die in den Neunzigern rein theoretisch hätten gesendet werden können. Das traurige Ergebnis habe ich auf einen USB -Stick gespeichert und nun in meiner Tasche. Ich hoffe inständig, dass Jerry mich nicht darauf ansprechen wird.
Ich rausche durch den Empfang des modernen Radiosenders und versuche möglichst locker und lässig sein Büro zu finden. Leider lande ich in der Nachrichtenredaktion, wo eine fürs Radio viel zu hübsche Sprecherin gerade das » Neuste des Tages aus München und dem Rest der Welt« vorbereitet. Zwei Tische weiter lungert ein Praktikant an der Telefonanlage herum, der sicherlich hofft, dass die Polizei heute keine Radarkontrollen macht, weil er das ständige » Wisst ihr wahrscheinlich schon, aber an der Südlichen Auffahrtsallee machen’s gratis Passbilder, hoho!« nicht mehr ertragen kann. Im Studio pult der Moderator in seinem Ohr und starrt dabei vor sich hin, weil gerade » Vier Hits Nonstop« laufen, die er abwarten muss, um dann mal wieder Uhrzeit und Temperatur durchgeben zu dürfen. Keiner der drei würdigt mich eines Blickes, und so muss ich die Initiative ergreifen und die Nachrichtensprecherin fragen, wo ich Jerry Praller finden kann. Sie deutet stumm auf eine Tür, ohne vom Monitor aufzusehen.
Auf mein zaghaftes Anklopfen tönt eine sonore Stimme von der anderen Seite, man solle hereinkommen, wenn man kein Fischer sei. Sofort setze ich den Versuch eines Lächelns auf und öffne die Tür. Vor mir liegt das Kinderzimmer eines Musikfanatikers. Inmitten unzähliger CD s, Platten und Kassetten (!) sitzt Jerry Praller an seinem unordentlichen Schreibtisch und hackt eifrig etwas in seine Tastatur. Dann greift er nach seiner Maus und schiebt sie umständlich unter Zuhilfenahme des ganzen Unterarms über das Mauspad. Das ständig aktive kleine Helferlein in mir will sofort wissen, warum er sie nicht normal aus dem Handgelenk bewegt, will ihm verraten, dass man die Zeigergeschwindigkeit ganz einfach in den Systemeinstellungen anpassen kann, doch ich schaffe es, meine Klappe zu halten.
» Ich mach nur noch schnell die E-Mail hier fertig, setz dich«, ruft er mir zu, und ich suche vergebens nach einem freien Plätzchen.
» Stell einfach die Kiste da auf den Boden«, fordert er mich auf und deutet kurz auf einen Karton, unter dem sich tatsächlich ein Stuhl befinden könnte. Ich tue, wie er mir geheißen hat, lege aber nur eine weitere Kiste voll CD s frei. Da Jerry mir wohlwollend zunickt, setze ich mich auf diese, es knackt kurz, doch das scheint ihn nicht zu stören. Mir ist Jerry in seinem Chaos zumindest fast sympathisch, allein sein dämlicher Fischer-Spruch
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