Frettnapf: Roman
da nie«, beende ich meinen Anflug von Selbstzerstörung.
» Schon klar«, antwortet Jerry jovial, und ich weiß nicht, was er damit ausdrücken möchte. » Aber das, was ich da gerade gehört habe, das war schon on air, oder?«
» Na ja«, lenke ich ein. » Eigentlich war das mehr so ’ne Aufnahme, die ich selbst gemacht habe. Im Studio 2.«
» Hast du nicht am Telefon gesagt, dass du moderiert hast?«
» Jein. Auf Messen. Im Radio nicht wirklich.«
Jerry schweigt und starrt in die Leere des überfüllten Raums. Ich ärgere mich, » nicht wirklich« gesagt zu haben, eine Phrase, die in der schlechten Nachbarschaft von » leider geil« und » grenzgenial« wohnt und für gewöhnlich von Menschen benutzt wird, deren Existenzberechtigung auf dem Planeten nur schwer erklärbar ist. Während ich mich über meine idiotische Wortwahl und meinen noch dämlicheren Selbstzerstörungsmechanismus ärgere, reift in Jerry ein Plan. Denn statt mir die Leviten zu lesen und zu erklären, dass ich doch etwas mehr Respekt vor der Arbeit der Moderatoren haben sollte, erzählt er mir urplötzlich von den Anfängen des Privatradios. Von dem Sendemast auf irgendeinem Berg in Südtirol, dem Schwarzenstein, wenn ich mich recht entsinne, über den ein Teil meiner früheren Weggefährten in den Achtzigern das erste private Radioprogramm nach Bayern gesendet haben. Er selbst war damals nicht mit von der Partie, aber ein treuer Hörer. Das war noch Radio, das war noch Pioniergeist! Jerry vermutet, dass die Jungs damals mit einer ähnlichen Einstellung wie ich ihr Werk begonnen haben– einfach mal schauen, was geht. Und er würde mich am liebsten sofort ins Studio schicken, um einfach mal eine halbe Stunde zu senden. Allerdings darf er das nicht. Schon allein wegen den Kollegen, die allesamt den harten Weg über die nächtlichen Testsendungen bestritten haben.
Ich räume sofort ein, dass ich da auch bestimmt ziemlich abschmieren würde. Die letzten Tage habe ich weder Zeitung gelesen, noch sonst wie das Tagesgeschehen verfolgt. Doch selbst das schreckt Jerry nicht ab.
» Aber ist nicht genau das, was irgendwie mal total geil wäre? Ein Moderator, der die News quasi mit den Hörern rezipiert?«
» Vielleicht, ja.«
» Pass auf: Du machst kommende Woche mal jeden Abend Testsendungen in unserem zweiten Studio. Parallel zum Live-Programm. Gleiche Playlists, gleiche Themen.«
» Themen?«
» Whatever. Ich hör mir die Sendungen am Wochenende an, und wenn ich eine geil finde, packen wir das an.«
» Wow. Das ist… also, krass.«
» Du hast doch Zeit, oder?«
» Sicher. Wie viel Uhr?«
» Immer die Stunde von 20 bis 21 Uhr, danach hat Rene sich eingetragen.«
» Quasi mein Konkurrent?«
» Würde ich nicht sagen. Er ist, na ja, ein bisschen langweilig, keine gefestigte Persönlichkeit. Vor allem, wenn es um Meinungen geht, schwankt er zu sehr.«
» Ja, das kenne ich von früher«, lüge ich, denn ich habe bis heute kaum eine Meinung, die nicht mit einem guten Argument umzustoßen wäre.
» Neulich hat er versucht, das Thema Zwangsbeschneidung zu meistern, und endete mit der Aussage, dass es unter gewissen Bedingungen eigentlich schon in Ordnung wäre, aber auf jeden Fall gesetzlich geregelt gehört.«
Eine sehr okaye Meinung, würde ich spontan sagen, tue aber gut daran, sie lächerlich zu finden, und sichere mir damit Jerrys Sympathie.
» Und trau dich ruhig was, höre ja nur ich«, fordert er mich auf. » Um die Zeit sind die Moderationsfenster ein bisschen größer, und zur Not skippst du halt mal ’nen Song.«
» Werde ich machen. Welche Themen beschäftigen dich denn so zur Zeit?«
Ein plumper Versuch, die Vorbereitung auf fünf ganze Sendungen auf ein bewältigbares Maß zu bringen, auf den mein Gegenüber leider nicht konkret genug eingeht.
» Alles. Ich lese mir seit Jahren unnützes Wissen an und kann eigentlich zu allem was beitragen. Sprich einfach über das, was dich interessiert. Bis auf Freitag, aber das kennst du ja.«
» Klar«, lüge ich, da ich, wenn ich es mir recht überlege, seit gut fünf Jahren nicht mehr Radio gehört habe. Jedenfalls nicht so bewusst, dass ich mich daran erinnern würde. Es lief bestimmt hier und da im Taxi oder beim Friseur, wurde von mir aber nur als Hintergrundgeräusch wahrgenommen. Egal, im Internet werde ich bestimmt herausfinden, was freitags auf Hip FM läuft.
Jerry steht auf und reicht mir seine Hand, die ich mit festem Griff packe. Wer schon mal erwartet hat, einen
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