Frettnapf: Roman
verbietet mir umfassendes Wohlwollen.
Er tippt noch ein paar Minuten lang seine Mail, pausiert dann und sendet seine Nachricht schließlich ab, um sofort danach zu fluchen.
» Scheiße, Anhang vergessen.«
Zwei Minuten Tippen, umständliches Mausgeschiebe und einen gesendeten Anhang später blickt er endlich zu mir auf und streckt die linke Hand aus.
» Hörprobe?«
» Sofort? Wollen wir nicht erst bisschen reden?«
» Wozu? Wenn du kacke klingst, können wir uns das sparen«, lacht Jerry, sicherlich nicht ahnend, dass die Aufnahme wirklich kacke klingt. Ich greife in meine Tasche, fummle den USB -Stick heraus und entschuldige mich zeitgleich vorauseilend für das, was Jerry gleich zu hören bekommen wird.
» Das ist jetzt qualitativ eher minderwertig. Das war erst auf Band, dann auf CD , und von der hab ich’s dann vor Jahren mal gerippt«, lüge ich, was Jerry mit einem Achselzucken quittiert. Er nimmt den Stick entgegen, verschwindet kurz aus meinem Blickfeld unter seinen Schreibtisch, um das Teil in seinen PC zu stecken, dann klickt er die Datei an, und ich muss in vollem Surroundsound ertragen, was ich in der vergangenen Nacht eingesprochen habe.
» Das war Chumbawumba mit Tubthumping, und wir machen gleich weiter mit Will Smith und den Men in Black, hier auf Energy 93,3, the power of music!«
Jerry verzieht das Gesicht, obwohl ich meine Aufnahme im Nachhinein gar nicht so miserabel finde. Ich hab die Ramp voll erwischt, also nicht in die ersten Worte des angesagten Songs gequatscht, und dafür, dass ich das mit einem wirklich minderwertigen Mikrofon aufgenommen habe, klang es fast satt.
Kaum fadet Men in Black aus, ertönt ein Musikbett, auf dem ich eine kurze Moderation zum Tod von Lady Di abliefere. Darin beichte ich, nun selbst eine Di-Frisur zu tragen, was sehr gut zu meiner neuen Elten-John-Brille passt. Und weiter geht’s mit Candle in the Wind.
Jerry schmunzelt, dann beendet er die Hörprobe. Ich atme durch, denn danach wäre nur noch eine Zeitansage mit einem geschätzten Datum und einem dazu passenden, aus Wikipedia entnommenen Artikel gekommen. Laut meiner Recherchen trat am 7. Oktober 1997 in Polen eine neue Verfassung in Kraft, was ich mit dem Spruch kommentiert habe, dass leider alle passenden Witze geklaut worden sind. Ein in der Tat müdes Scherzchen.
» 1997?«, fragt Jerry, ich nicke. » Und seitdem?«
» Messen. Ich schätze mal, dass ich neunzig Prozent der Artikel, die du in deiner Wohnung hast, schon mal vertreten habe.«
Ein weiterer Lacher, ich punkte bei dem ordnungsvernachlässigenden Vogel. Und mit dem Messethema habe ich ins Schwarze getroffen. Jerry erkundigt sich sofort, ob ich da gute Connections hätte, da seine Jungs und Mädels nur äußerst sporadisch die gut bezahlten Jobs in Riem angeboten bekämen. Ich gebe den alten Messechecker, verspreche, jeden, der auch nur ansatzweise sprechen kann, in Zukunft mit Arbeit zu überhäufen– für meine Kollegen sei das ja Ehrensache.
» Cool«, findet das Jerry. » Was nimmst du denn dafür?«
» Schaue ich aus wie einer, der sich für einen Gefallen bezahlen lässt?«
Nein, erwidert er, ganz und gar nicht. Aber zehn bis fünfzehn Prozent seien doch normal, wenn der Umfang stimme. Und wenn er richtig informiert sei, könne man bei den gängigen Tagessätzen vermutlich als Agent mit fünf bis zehn Moderatoren im Angebot ganz komfortabel leben.
» Vermutlich«, bestätige ich. Mir gefällt das alles nicht, schließlich möchte ich hier ans Mikrofon und keine Agentur für Arbeit gründen. » Aber im Wesentlichen bin ich ja wegen meiner möglichen Arbeit für euch da.«
» Richtig«, antwortet Jerry und kommt prompt ins Grübeln. » Jens Fischer… Warst du auch mal beim BR ?«
» Nee. Nur bei Energy.«
» Stimmt. Noch in den guten, alten Zeiten, oder?«
» Gut waren sie, das stimmt. Keine Ahnung, wie’s da jetzt zugeht.«
» Na, ich sag mal so: Stefan Schneider, Armand Presser, Iron-Jan Plate, Nina Breiter, Frank Stängle… Mann, das war so geil.«
Bevor Jerry richtig ins Schwärmen geraten kann, bremse ich seinen Ausflug in die Vergangenheit mit dem Einwurf, dass ich damals nur als Volontär beim Radio war, und selbst das nur für ein paar Monate. Es ist mir unverständlich, warum ich immer alles mache, um mich schlecht aussehen zu lassen. Immerhin fand er die kleine Kostprobe meiner Schaffenskraft unterhaltsam.
» Die ganzen Moderatoren, ja, die kannte ich eben vom Sehen. Aber so richtig reingekommen bin ich
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