Frettnapf: Roman
sie Lust auf Ben & Jerry’s Eiscreme hat. Was an einem Vormittag im März unwahrscheinlich ist. Ein Posten dort wäre also zwar sicherer gewesen, aber weniger genussreich.
Sie überquert die Rumfordstraße, und ich bleibe stehen, da ich ein Detail nicht bedacht hatte. Eine beschissene Kleinigkeit, die mich nun teuer zu stehen kommen wird: den Bülander. Sein Dreckscasino liegt auf dem Weg, den Jessi eingeschlagen hat. Auf dem Weg, den auch ich gewählt hätte. Ich war nur zu dämlich, ihn in Gedanken durchzugehen. Intuitiv überquere ich die kleine Straße, um auf der gegenüberliegenden Seite am Café Benz vorbeizulaufen, dessen Scheiben auf Blickhöhe milchig sind, sodass man weder rein- noch rausschauen kann.
Mein Plan geht erst mal auf, ich komme bis zur nächsten Ecke. Dort jedoch hält der durchgepimpte Mercedes, den ich schon auf dem Bülander-Plakat gesehen hatte. Der Versuch, einfach um den Wagen zu laufen, scheitert am Fahrer, der das Auto in dieselbe Richtung bewegt, in die ich steuere. Bülent lässt außerdem das Beifahrerfenster herunter und befiehlt mir, in die Karre zu steigen. Niemals zuvor ist mir etwas in diesem Ton aufgetragen worden, Bülent hat mir wohl meinen ersten wirklichen Befehl erteilt, dem ich prompt eingeschüchtert folge. Sven ist nun auf sich selbst angewiesen.
» Hast du mein Auto nicht erkannt?«, wundert sich Bülent.
» Nee, woher soll ich das kennen?«, halte ich unschuldig dagegen.
» Schau dich mal in meinem Büro um.«
» Mach ich. Pass auf, bei mir ist was Blödes passiert, und ich kann jetzt nicht.«
» Was?«
» Meinst du, was mir passiert ist, oder…?«
» Ich will wissen, was mit dir abgeht.«
» Meine Freundin, die ist gerade auf dem Weg–«
» Hab ich gesagt, du sollst mir deine Lebensgeschichte erzählen?«
» Nein.«
» Also, was? Bist du mein Buchhalter oder nicht?«
» Nein. Ich kann nicht.«
» Dann schuldest du mir zehntausend Euro.«
» Was?«
» Ja, ich muss schließlich einen Ersatzmann zahlen. Und auf die Schnelle kostet das extra. Wann zahlst du?«
» Ich kann nichts zahlen, du weißt genau, dass ich blank bin.«
» Du redest wie ein Buchhalter. Jetzt komm. Das dauert nicht lange. Und es tut nicht weh. Aussteigen schon.«
Ich bin ihm ausgeliefert. Nein: mir. Es war meine Entscheidung, mich nicht um Jessi zu kümmern, sondern verzweifelt zu versuchen, schnelles Geld zu machen, damit ich mir vorgaukeln kann, dass alles in Ordnung ist. Ich hasse späte Einsichten. Ich hasse nichts mehr auf der Erde. Höchstens Bülent und sein Scheißcafé Benz.
Wir fahren einmal um den Block, dann stellt Bülent sein Auto vor dem Casino auf den Bürgersteig. Er steckt sich eine Zigarette an, offeriert mir auch eine. Ihm ist wichtig, dass ich entspannt in den Laden gehe, die » Prüfer« sind angeblich schon da. Mit seinen Fingern malt er um das Wort Prüfer Gänsefüßchen in die Luft, den Apostrophus digitis (lat. Apostroph mit den Fingern), ohne näher darauf einzugehen, um wen es sich denn bei den vermeintlichen Prüfern handelt.
» Denen sagst du, dass du verpennt hast, tut dir leid, dann zeigst du ihnen die Bücher. Die sind in meinem Schreibtisch in der Schublade rechts.«
» Rechts, wenn ich davor stehe oder wenn ich sitze?«
» Rechts ist rechts, egal, ob du sitzt oder stehst.«
» Ich meine, wenn ich auf der anderen Seite stehe.«
» Rechts.«
» Also links, wenn ich sitze.«
» Was ist mit dir verkehrt?«, schreit Bülent plötzlich. » Du gehst zum Schreibtisch und machst die rechte Schublade auf. Links ist gar keine!«
» Ach so. Also die Schublade.«
» Rechts.«
» Genau.«
» Okay. Viel Glück.«
Das war’s also. Denkt Bülent. Ich hingegen hätte da noch etliche Fragen. Was, wenn die » Prüfer« Fragen stellen? Wenn sie irgendwelche Zahlen erklärt haben wollen? Wenn–
» Dann erzähl irgendwas, aber sag immer, dass wir keine Kohle waschen. Darum geht’s. Wenn die das rausbekommen, bist du tot!«
» Ey, mach mal halblang, solche Drohungen sind übertrieben. Wenn was schiefläuft, können wir über das Geld reden, das ich dafür bekommen soll. Aber tot oder so, nee. Ist nicht.«
» Vergiss es. Sollte keine Drohung sein. Mehr eine Warnung. Die Prüfer sind manchmal etwas grob. Mach einfach.«
Ich drehe mich zur Tür, öffne sie, steige aus dem Ludenschlepper und schnippe meine Zigarette weg. Ich will den ganzen Dreck nur noch hinter mich bringen. Die ganze Aktion ist an Merkwürdigkeit kaum zu überbieten– ich kann mit
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