Freudsche Verbrechen. Ein Mira-Valensky-Krimi
Ich sehnte mich nach dem Privileg eines Einzelzimmers zurück. Für einige Wochen hatte ich eines gehabt, damals, als ich in der Politik ausgeholfen und über das so genannte Menschliche am aussichtsreichsten Kandidaten der Präsidentschaftswahlen berichtet hatte. Für Lifestyle-Journalistinnen gab es solchen Luxus nicht. Wir waren ohnehin meistens unterwegs. Einzelzimmer gab es nur für einige ausgewählte politische Journalisten. Ich hob genervt ab.
„Hier ist Dora Messerschmidt. Ich habe Ihnen versprochen nachzusehen, was mit Hanni Rosners Eltern geschehen ist. Theresia und Salomon Rosner.“
Der Gegensatz zwischen dem hektischen Redaktionsbüro und der Geschichte der Familie Rosner hätte größer nicht sein können. „Ja?“ Ich wollte es trotzdem sofort wissen.
„Es ist ihnen gegangen wie Tausenden anderen aus Wien auch. Sie sind in verschiedene Wiener Sammelwohnungen verlegt worden, dann wurden sie nach Theresienstadt gebracht und von dort dann weiter nach Auschwitz. Salomon Rosner ist offenbar sofort selektiert worden. So hat das damals geheißen. Er war schon etwas älter und wurde gleich vergast. Theresia Rosner ist, so steht es zumindest in den Akten, ‚an Lungenentzündung verstorben‘. Wahrscheinlich war es die allgemeine Entkräftung. Arbeit bis zum Umfallen, fast nichts zu essen, keinen Platz, um auszuruhen. Vielleicht haben sie sie auch erschlagen. Mehr kann ich Ihnen nicht sagen.“
Ich schluckte. „Wie nehmen es die Verwandten auf, wenn Sie ihnen so etwas erzählen?“
„Üblicherweise mache ich das nicht. Da gibt es eigene Leute, die sich darum kümmern. Es ist eine schwierige Sache. Ich weiß nicht, ist es besser, zu wissen, wie sie gestorben sind, oder ist es besser, das nicht zu wissen? Sich den Tod wie einen üblichen vorzustellen? Schicksal eben und nicht dieses Ende.“
„Ich weiß auch nicht“, antwortete ich gedrückt, „herzlichen Dank jedenfalls.“ Sie wollte schon auflegen, als ich rief. „Eine Bitte noch. Es gibt zwei Freundinnen von Hanni Rosner, von denen niemand mehr etwas zu wissen scheint. Können Sie mir da auch nachsehen? Ich habe die Namen und ihre Adressen aus dem Jahr 1938.“
„Ich sitze gerade am Computer. Wenn Sie wollen, kann ich sofort nachsehen.“
Fünf Minuten später saß ich da und malte Fragezeichen auf meine Schreibtischunterlage. Dabei gab es da gar nichts mehr zu fragen. Elisabeth Mahler hat ihre Eltern offenbar freiwillig nach Theresienstadt begleitet. Später wurde sie nach Ravensbrück verlegt. Dort starb sie 1944 an Typhus. Franziska Rothkopf war zum Schluss Zwangsarbeiterin in einem Nebenlager von Auschwitz. Seither hatte niemand mehr von ihr gehört. Ich malte über alle anderen Fragezeichen noch ein großes, wütendes. Ich drückte so fest auf, dass das Papier riss.
Ich hackte in die Computertastatur und schickte meine Story ins Layout. Was für eine mickrige kleine Geschichte im Verhältnis zu dem, was ich eben erfahren hatte. Und das wieder waren bloß Details von dem, was vor rund 60 Jahren geschehen war. Ich stürmte die Stiegen hinunter, zu ungeduldig um auf den Lift zu warten.
Ich trieb den Taxifahrer zur Eile an. Sie sollte es wenigstens wissen. Einmal zur Kenntnis nehmen müssen, was geschehen war. Ich läutete bei Bernkopf Sturm. Frau Bernkopf sah aus dem Fenster.
„Machen Sie sofort auf oder ich brülle die ganze Nachbarschaft zusammen!“ Ich bemerkte erst jetzt, dass die Demonstranten verschwunden waren. Hatte man sie eingeschüchtert? Gab es noch andere Orte, an denen ihr Protest wichtig war?
Das Summen des Türöffners, zuerst am Gittertor zum Vorgarten und dann am Hauseingang. Ich hetzte die Stufen hinauf. Frau Bernkopf stand mit empörtem Gesichtsausdruck in der Tür.
„Wissen Sie, was mit Hanni Rosners Eltern geschehen ist? Den Menschen, denen dieses Haus gehört hat? Er ist nach Auschwitz gekommen und sofort vergast worden. Sie ist später in Auschwitz an Entkräftung gestorben. Oder erschlagen worden. Wissen Sie, was mit zwei von Hanni Rosners Freundinnen passiert ist? Die eine ist in Ravensbrück an Typhus gestorben, weil sie nicht mehr stark genug für die Zwangsarbeit war. Die andere ist in ein Lager bei Auschwitz gekommen und niemand hat mehr etwas von ihr gehört.“
Der reservierte Ausdruck auf ihrem Gesicht blieb. „Die armen Leute“, sagte sie dann, „aber wir haben daran wirklich keine Schuld gehabt. Unseren Eltern ist es im Krieg auch nicht so gut gegangen.“
„Die Rosners sind ermordet
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