Freunde müssen töten - Thriller (German Edition)
zerfleddert, die an den Schultern grob angenähten Flügel – all das war jetzt knallharte Realität und nicht mehr nur ein gemailtes Bild, zu dem man noch ein wenig Distanz herstellen konnte. Das hier war die brutale Verwirklichung einer zutiefst gestörten Phantasie, dem kranken Hirn jener Person entsprungen, die ein beschissener Zeitungsartikel geweckt hatte und die auf diese abartige Weise Brauns Freundschaft gewinnen wollte.
*
Jetzt, da sein Mädchen gerettet und erlöst war, fand er den Ort melancholisch und ruhig. Die Fliesen glänzten wieder wie zuvor und die Passanten eilten nichts ahnend über den Platz, an dem noch zuvor der Koffer gestanden hatte mit seinem Mädchen, das jetzt endlich gerettet war. Sollten sie doch die eine oder andere Idee haben, sollten sie doch glauben, sie hätten eine Spur. Die Wahrheit war, es bedeutete ihm nichts mehr. Er hatte das Mädchen gerettet, hatte sie aus der Dunkelheit ihrer Verderbtheit in das Licht der Erhabenheit geführt. Seine Aufgabe war für dieses Mal erfüllt, aber es gab noch so viele Mädchen, die auf Erlösung warteten, es gab noch so viel zu tun.
Doch jetzt hatte er einen Freund, für den er das alles tun würde, und dieser Gedanke machte das Töten einfach schön.
29. Der schwarze Faden
Die schwarze Halle stand direkt an einem der Hafenbecken und man konnte drinnen das Rauschen der Wellen hören, die vom eiskalten Wind gegen die Kaimauern geklatscht wurden. Früher war die Halle eine angesagte Location für Kulturevents gewesen, aber nach einem von der EU gesponserten Kulturjahr war ihr Erhalt für die Stadt zu teuer geworden und deshalb stand sie schon seit einiger Zeit leer. Von draußen drang der Verkehrslärm der Industriezeile durch die Holzwände der Halle, die Radiatorenröhren, die aussahen wie glänzende Flugzeugtriebwerke, bliesen ständig heiße Luft in den riesigen Raum, der trotzdem nicht richtig warm wurde, sondern bei allen Anwesenden ein Grundfrösteln erzeugte. Das konnte aber auch an dem Fall liegen, denn irgendwo gab es da draußen einen Mörder, dem es Spaß machte, junge Mädchen zu töten und in Engel zu verwandeln. Jetzt war sie die neue Adresse der Mordkommission Linz, da die Beamten vom Beschaffungsamt der Meinung waren, dass eine schwarze Halle gut zur Mordkommission passte.
Tony Braun war das nur recht gewesen, denn so konnte er bequem zu Fuß zum Anatolu Grill spazieren, der keine zehn Minuten entfernt hinter dem Containerhafen lag. Als er zum ersten Mal die schwarze Halle betreten hatte, war auch er von den Dimensionen ziemlich beeindruckt gewesen. Neben dem Foyer gab es nur einen riesigen leeren Raum, der im vorderen Teil mit Schreibtischen und Servern vollgestellt war und dessen Bühne im hinteren Teil als Besprechungsraum diente. Um auf der Bühne nicht gestört zu werden, waren mobile Pinnwände vor die Rampe gestellt worden. Aus den hohen schwarzen Wänden im Inneren ragten metallene Rotoren, die heiße Luft in die Halle schaufelten und so für eine mäßige Grundwärme sorgten.
Braun hatte gerade mit dem EDV-Techniker gesprochen, der noch immer den Mailfluss analysierte und überhaupt keine brauchbaren Ergebnisse liefern konnte. Wenigstens tippten Polizeischüler die Protokolle der Augenzeugen in ein elektronisches Vergleichsprogramm, das automatisch Übereinstimmungen festhielt und in eine dafür vorgesehene Liste übertrug.
Braun stand vor den mobilen Pinnwänden, auf denen die Fotos hingen, welche die Spurensicherung am Bahnhof gemacht hatte. Direkt daneben hatte Braun die beiden Bilder gepinnt, die er mit den Mails erhalten hatte. Als er die Fotos jetzt so nebeneinander sah, gab es natürlich keinen Zweifel. Er tippte auf das ausgedruckte Bild des an einer Kanüle hängenden Mädchens, dann auf die zusammengekrümmte Leiche, die aus dem Koffer gerutscht war, verglich es mit dem Foto aus der ersten Mail, kein Zweifel, es musste sich um denselben Täter handeln. Das Schreckliche war natürlich, dass der Verfasser der Mails sein Versprechen wahr gemacht und Braun die Leiche auf dem Tablett serviert hatte. Insgeheim hatten ja doch noch alle gedacht, dass es sich um einen Verrückten handeln könnte, dem es nur darum ging, Braun zu beeindrucken, aber jetzt waren sie eines Besseren belehrt worden.
„Haben wir die Fingerabdrücke des Opfers in unserer Datenbank?“, fragte Braun, obwohl er sich nicht viel Hoffnung machte.
„Braun, das wäre doch viel zu einfach.“ Dominik Gruber schaute von seinem Computer auf.
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