Freunde müssen töten - Thriller (German Edition)
formloses Etwas zurückgelassen, das nur noch entfernt an den souveränen Polizeipräsidenten erinnerte.
Natürlich kannte er den Grund für sein derzeitiges Stimmungstief und so oft er auch den Deckel der kleinen silbernen Dose aufschnappen ließ, sie blieb leer, so leer wie sein Kopf. Mehrmals schon hatte er verklausulierte Nachrichten auf der Mailbox seines Psychiaters hinterlassen, zunächst wütend im Befehlston, dann immer kleinlauter, schließlich winselnd wie ein Junkie, der seinen nächsten Schuss braucht, um zu überleben. Wagner, der korrekte und vorbildliche Polizeipräsident, wusste natürlich auch, dass ihn von einem Junkie nur die Uniform trennte und dass er über seinen Psychiater leichter an die illegalen Medikamente und Aufputschmittel herankam als ein normaler Süchtiger. Doch das half ihm im Augenblick überhaupt nicht und resigniert ließ er das Handy sinken, mit dem er soeben wieder nur auf die Mailbox gekommen war. Also musste er diesen Zustand und vor allem aber diese Gedanken aushalten, die er ständig im Kopf mit sich herumschleppte und die von den Amphetaminen und Tranquilizern, die er wahllos in sich hineinstopfte, sonst so erfolgreich in den hintersten Winkel seines Denkens verbannt wurden. Schon am Morgen, als er sich beim Rasieren geschnitten hatte und sich ein heller Blutstropfen auf dem blütenweißen Kragen seines Hemdes wie eine Rose entfaltet hatte, schon da hätte er wissen müssen: Der Tag wird beschissen. Doch er hatte diese böse Vorahnung ignoriert.
Noch immer spürte er den Telefonhörer wie einen Phantomschmerz an seinem anderen Ohr, diesen grauen, einfallslosen Telefonhörer, durch den er gerade noch die selbstbewusste Stimme des Linzer Bürgermeisters gehört hatte. Links das enervierende Tuten des Handys, rechts die hinterhältig leutselig klingende Stimme des Bürgermeisters. Diese freundlich fiese, aber trotzdem keinen Widerspruch duldende Stimme, die immer und immer wieder darauf hingewiesen hatte, dass Weihnachten vor der Tür stünde und der Leichenfund am Bahnhof so überhaupt nicht in diese vorweihnachtliche, besinnliche Zeit passen würde.
„Wie die Aasgeier haben sich die Medien auf den Fall gestürzt. Ein spektakulärer Leichenfund. Eine junge Frau als Opfer. Mitten in der Bahnhofshalle. Zur Rushhour. Toter Engel zu Weihnachten.“
Eine Marotte des Bürgermeisters war es, in kurzen, abgehackten Sätzen zu sprechen, dazwischen immer lange Pausen zu machen, so als müsste er erst schwerfällig im Kopf die Sätze zusammenbauen, was natürlich nicht der Fall war, sondern eine Erfindung der Spin-Doktoren, die damit der Bevölkerung signalisieren wollten: „Schaut her, er ist auch nicht gescheiter als ihr!“
„In einer Woche ist dieser Fall gelöst, haben wir uns verstanden! Sonst kannst du deinen Job zur Verfügung stellen! Im nächsten Frühjahr sind Wahlen!“, hatte er dann gefaucht und das eingelernt Onkelhafte war von ihm abgefallen und der kalte Machtmensch zum Vorschein gekommen. Die klare Drohung hing noch immer wie eine schwarze Wolke über Wagner und am liebsten wäre er nach unten in die Drogenfahndung gestürmt, hätte sich mit beschlagnahmten Medikamenten und Drogen eingedeckt, aber das war natürlich unmöglich, das wusste er selbst, das wäre der berufliche Selbstmord gewesen. Jetzt war es einfach zu spät, jetzt waren die Gedanken da und setzten sich schwarzen Raben gleich auf seine Schultern und zogen ihn nach unten.
„Es gibt keinen perversen Killer in unserer schönen Stadt!“, hatte der Bürgermeister in den Hörer gebrüllt und am anderen Ende der Leitung jähzornig mit der Faust auf den Tisch gedroschen, sodass die Schallwellen sich schmerzhaft bis in Wagners Gehörgang fortpflanzten.
„Du sorgst für eine positive Berichterstattung, egal wie! Ich verlasse mich auf dich!“ Ohne sich zu verabschieden, hatte der Bürgermeister den Hörer auf die Gabel geknallt und der Nachhall der kurzatmigen, unangenehm hohen Stimme schrillte noch immer in den Ohren von Wagner.
Die schlechten Vorzeichen häuften sich.
Seufzend drehte sich Wagner auf seinem Stuhl vom Schreibtisch weg hin zum Fenster und fuhr sich durch die feinen rötlichen Haare, während er in das trostlose Grau hinaussah und mit dem Gedanken spielte, sich aus dem Fenster in das Wattegrau zu stürzen, weich zu fallen und schmerzfrei wieder aufzuwachen.
Noch konnte er diesen Wunsch unterdrücken und auch den anderen: zu seinem stilvollen Aktenschrank zu gehen, der sich
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