Freunde und andere Feinde: Endzeit-Thriller (German Edition)
rutschte.
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Den Flur betrat er ohne sein Schwert, ohne seine schwarze Rüstung. Fast wieder wie ein normaler Mensch, schritt er über den dunkelblauen Teppich in den düsteren Gang.
Beo wusste nicht, ob er in die Hölle schritt oder ihn nur ein schrecklicher Traum ereilte. Zu intensiv war das Gefühl der Leere, das ihn ereilte, als er durch das finstere Haus spazierte. Zu bewusst war er sich seiner Einsamkeit, als dass er sich in einem einfachen Traum befinden konnte.
Auf den Bildern an der Wand konnte er die Gesichter kaum zuordnen. Teils waren sie vertraut, teils auch unendlich fremd. Der Geruch in diesem Haus ließ blasse Erinnerungen seiner Kindheit aufsteigen.
Die Kontraste zwischen fremd und familiär, zwischen Traum und Hölle, lösten in Beo eine innere Zerrissenheit sowie eine Neugier aus, die ihn dazu leitete den dunklen Gang bis zum Ende zu beschreiten.
Je näher er dem Ende kam, umso unruhiger gestaltete sich die Kulisse. Aus einer offenen Tür schallte wirres Geschrei in den weiten Flur.
Am Türrahmen angekommen erkannte er das helle Zimmer als sein altes Badezimmer. Das Badezimmer, in dem er als kleines Kind in der Badewanne plantschte. Zu seiner Verstörung erkannte Beo einen bewaffneten Mann, der eine Frau bedrohte. Beo vermutete in dieser Frau seine Mutter zu sehen. Ihr Gesicht erkannte er nicht, obwohl er keinen Meter von ihr entfernt war. Ihr Wimmern, der Eindringling solle die Waffe wegnehmen, erinnerte ihn an die Stimme seiner Mutter.
Der zweite Mann im Zimmer, der tatenlos das Schauspiel beobachtete, musste sein Vater sein. Sein Gesicht konnte er ebenfalls nicht erkennen, da die Jahre die letzten Erinnerungen an die alte Welt aus seinem Bewusstsein gelöscht hatten.
Der Eindringling entsicherte seine Pistole und visierte Beos Mutter an. Beo wollte todesmutig voranschreiten und den Eindringling erledigen, doch er entsinnte sich an seine verlorenen Kräfte zurück. Seit er in diesem Haus war, trug er nicht mehr seine stabile Rüstung, sein Schwert war verloren, seine Tarnfunktion reagierte nicht mehr und seine gigantische Stärke schlummerte nicht mehr in ihm. Er war nur noch Beo.
Während er noch überlegte, eskalierte die Situation und der Eindringling betätigte den Abzug seiner Waffe.
Reflexartig entschloss Beo sich zu opfern und die Kugel abzufangen, für einen Menschen, den er längst vergessen hatte. Er sprang seiner Mutter in die Arme, in der Hoffnung die Kugel würde ihn durchsieben und von seiner Illusion, Traum oder auch Wirklichkeit erlösen. Wenn das die Realität war, dann wäre er wenigstens für etwas gestorben, anstatt weiterhin für nichts zu leben. Bevor er seine Mutter erreichte, wurde sie von der Kugel durchbohrt. Wohin der Schuss traf konnte er nicht identifizieren, da sein Sichtfeld von Blut übersät war. Er erkannte Blut an seinen Händen und auf seiner Mutter, die leblos in seinen Armen lag.
Hilflos sah er zu dem Eindringling - keine Reaktion. Auch der Mann, der seiner Einschätzung nach sein Vater sein sollte, rührte sich kein Stück.
Es gab nur noch ihn und die tote Frau in seinen Armen. Wenn es seine Mutter war, wäre jetzt nicht der Zeitpunkt zu weinen, zu schreien, zu trauern?
Was wusste er noch von seiner Mutter? Nur Erinnerungen der neuen Welt streiften durch seinen Verstand. Hatte er sich nicht längst damit abgefunden, dass seine Eltern in der alten Welt gestorben waren?
Die Gesichtskonturen, die er in ihrem Gesicht erkennen konnte, sahen ihm tatsächlich ähnlich. Seine Finger hinterließen eine schwache Blutspur, als er ihr Gesicht abtastete.
Er entschied sich in dieser Position zu verweilen, bis er hoffentlich aufwachte, doch die Blicke der zwei Männer durchbohrten ihn. Sie forderten ihn zu einer angemessenen Reaktion auf. Ihre Blicke sagten ihm, er solle sich anständig verhalten und um seine Mutter weinen. Ihre Blicke befahlen ihm, vor ihnen zusammen zu brechen.
Schließlich gab Beo den belasteten Blicken nach und versuchte Tränen rauszupressen, es handelte sich ja scheinbar um seine Mutter.
Er glaubte, seine letzte, aufrichtige Träne war ewig her, dass er fast vergaß wie es war eine Träne zu vergießen. Er versuchte dem Prozess nachzuhelfen, indem er sich an Vidals Verrat erinnerte. Er dachte an sein frühes Ende, als er sich mit dem König in die Luft jagte. Eine weitere schmerzvolle Erinnerung war Julias enttäuschtes Gesicht, als sie ihn auf der Kirmes erblickte und sah, zu welchem Monster er mutiert war. Die
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