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Frevel im Beinhaus

Frevel im Beinhaus

Titel: Frevel im Beinhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Schier
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ihm zu. «Zum Hafen. Wir kaufen frischen Fisch und Alaun für die Apotheke.»
    «A-laun», sagte Colin mit höchster Konzentration, dann lächelte er engelhaft. «Alaun, Alaun! Hafen. Schiffe.»
    «O ja, die Schiffe werden wir auch sehen», bestätigte Adelina. «Und die großen Lastkräne, mit denen sie beladen werden.» Die Aussicht auf den kurzen Ausflug hob ihre Stimmung beträchtlich.
    Marie lächelte ihr fröhlich zu. «Lasst uns aufbrechen, sonst sind die besten Fische alle schon verkauft.» Einträchtig marschierten die beiden Frauen los. Franziska hob Colin auf ihre Hüfte und folgte ihnen.
    Sie waren erst wenige Schritte weit gekommen, als plötzlich der entsetzte Schrei eines Kindes die feuchtstickige Luft zerriss.
    Die drei Frauen sahen einander erschrocken an.
    «Das kam aus dem Hof!» Franziska eilte zurück zum Tor und stieß es auf. Marie und Adelina folgten ihr.
    «Um Himmels willen, Griet, was ist geschehen?» Adelina packte ihre Stieftochter an den Schultern, die kalkweiß und mit weit aufgerissenen Augen vor der runden Öffnung der Abortgrube stand. Den schweren Deckel hatte sie mit Hilfe einer Eisenstange geöffnet, die zu diesem Zweck stets in der Nähe lag. «Was machst du überhaupt hier? Du kannst doch den Abfall viel leichter in den Abort …»
    «Adelina!» Marie war nun selbst nah an die Grubenöffnung herangetreten und rang entsetzt nach Atem. «Heilige Muttergottes, steh uns bei!», stammelte sie und deutete mit zitternder Hand in das Loch.
    Adelina ließ Griet los und trat vorsichtig näher. Beim Anblick des aufgedunsenen und zerfressenen Gesichts wich alles Gefühl aus ihren Gliedern.
    ***
    «Jeder hätte die Leiche in unserer Abortgrube versenken können», argumentierte Neklas.
    Der Vogt, Bartold Scherfgin, ein Mann mit schütterem rotblondem Haar, vorstehendem Wanst und Doppelkinn, blickte höhnisch auf ihn herab. «Aber nicht jeder hätte sie vorher aufgeschnitten, Herr Magister.»
    «Auch das habe ich nicht getan.»
    «Ach, ganz sicher nicht? Und wie erklärt Ihr Euch den Fund dieser Messerscheide?» Mit spitzen Fingern nahm der Vogt die arg lädierte Lederscheide vom Küchentisch auf und hielt sie Neklas unter die Nase. «Eure Gemahlin hat sie als die Eure erkannt, Herr Magister.» Scherfgin deutete auf die winzigen Edelsteine, die den Rand der Scheide zierten. «Ich bin mir sicher, dass wir auch das passende Messer dazu finden werden.» Nun wurde sein Ton schärfer. «Was habt Ihr mit der armen Frau gemacht? Werden die Goldgräber ihr totes Kindlein auch noch aus der Grube herausholen, wenn sie mit dem Leeren fertig sind?»
    Neklas wurde sichtlich blass, bemühte sich jedoch, ruhig zu bleiben. «Ihr irrt Euch, Herr Vogt. Ich habe nichts mit dem Mord zu tun. Ich kannte die Tote nicht und habe ihr auch nichts angetan.»
    «Wie verstockt Ihr seid, obwohl alle Beweise gegen Euch sprechen.»
    «Herr Vogt, so glaubt uns doch!», mischte sich Adelina ein, die das Verhör in ihrer Küche mit wachsendem Entsetzen verfolgte. Nachdem sie die Büttel und den Vogt über ihren Leichenfund benachrichtigt hatten, hatte es nicht lange gedauert, bis die Männer eingetroffen waren. Ohne Hilfe der Goldgräber war es aber nicht möglich, die tote Frau aus der Grube zu bergen – seither waren die Gehilfen des Henkers dabei, die Abortgrube bis auf den Grund zu leeren. Vor dem Haus drängten sich unzählige Schaulustige vom Marktplatz, Nachbarn und Freunde der Familie. MeisterJupp hatte sich mit seinen Gesellen vor der Apothekentür postiert, um zu verhindern, dass jemand versuchte einzudringen. Marie, Franziska und Magda kümmerten sich um die Mädchen, Colin und Vitus.
    «Aus welchem Grund sollte mein Gemahl denn Frau Katharina umbringen, ihr das Kind aus dem Leib schneiden und sie dann in unserer Abortgrube versenken? Das ergibt doch überhaupt keinen Sinn.»
    «Ihr haltet Euch da heraus, Weib», fuhr der Vogt sie an. «Lasst Euch gesagt sein, dass für mich noch lange nicht feststeht, ob Ihr nicht auch an der Sache beteiligt seid. Glaubt nicht, ich wüsste nicht um die Machenschaften Eures sauberen Herrn Gemahls.»
    «Machenschaften?»
    «Denkt Ihr, ich wäre nicht darüber informiert, dass er schon mehrfach die Leiber von Verstorbenen geöffnet hat? Dass der Rat und – Gott bewahre – sogar der Erzbischof ihm die Erlaubnis dazu gegeben hat?» Er beugte sich über Neklas und starrte ihn an. «Vielleicht war sie ja schon tot, und Ihr wolltet nur herausfinden, wodurch sie zu Tode gekommen ist.

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