Frevel im Beinhaus
wieder von Wetterleuchten erhellte Finsternis der Nacht.
14
«Ich muss mit Reese sprechen», sagte Adelina am folgenden Morgen während des Frühstücks zu Greverode. «Entweder begleitet Ihr mich zu ihm, oder Ihr schickt jemanden, ihn herzuholen. Es ist sehr wichtig.»
Die Miene des Hauptmanns war verschlossen wie immer, doch überraschenderweise nickte er zustimmend. «Ich bringe Euch zum Rathaus. Vermutlich wird Euch der Vogt ohnehin sprechen wollen.»
«Wir sollten so bald wie möglich aufbrechen», entschied Adelina, wurde jedoch von einem zarten Hüsteln Miras abgelenkt.
«Meisterin? Was …» Das Mädchen zögerte. «Was sollen Griet und ich denn heute tun? Jetzt, da die Apotheke immer geschlossen ist, wissen wir nicht recht, ob wir …»
«Na, das ist ja fein», kam es spöttisch von Greverode. «Zwei Jungfern, die nichts mit sich anzufangen wissen.» Er musterte erst Griet, dann Mira eingehend. «Ihr seid wohl beide alt genug, euch eine sinnvolle Beschäftigung zu suchen.»
«Wie …» Mira blieb für einen kurzen Moment der Mund offen stehen. Dann verzogen sich ihre Lippen erbost. «Was geht Euch das denn an? Ich nehme nur Anweisungen von meiner Meisterin entgegen.»
Der spöttische Ausdruck in Greverodes Augen breitete sich über sein gesamtes Gesicht aus. «Das war keine Anweisung, sondern eine Feststellung, Jungfer Mira.»
«Und wennschon.» In Miras Augen blitzte es kämpferisch. «Ich muss gar nicht mit Euch sprechen, Hauptmann Greverode. Ihr …» Sie holte kurz Luft. «Ihr steht ja sowieso unter mir.»
«Mira!», riefen Griet und Adelina gleichzeitig aus. Griets Stimme klang entsetzt, Adelinas wütend.
Sie schüttelte entgeistert den Kopf. «Was soll das denn, Kind? Hast du den Verstand verloren? Entschuldige dich sofort bei Hauptmann Greverode für diese Unhöflichkeit!»
Mira schwieg verstockt und warf dem Hauptmann böse Blicke zu. Die übrigen Anwesenden am Tisch hielten erschrocken die Luft an.
Adelina stand auf und beugte sich über den Tisch zu ihrem Lehrmädchen hinüber. «Hast du nicht gehört, Mira? Ich will, dass du dich sofort entschuldigst.»
Bockig zog Mira die Schultern hoch. «Verzeihung», murmelte sie. «Aber was wahr ist, ist wahr.»
«Großer Gott, Mira!» Adelina starrte das Mädchen fassungslos an.
Hastig stand Mira auf und rannte beinahe hinaus. Mit einem leisen Knall flog die Küchentür hinter ihr zu.
«Ist sie jetzt vollends übergeschnappt?» Ratlos blickte Adelina auf den nun freigewordenen Platz am Tisch, dann wollte sie aufstehen, um dem Mädchen nachzugehen.
«Dafür ist jetzt keine Zeit», hielt Greverode sie zurück. Sein Blick ließ nicht erkennen, inwieweit ihn Miras ungebührliches Verhalten verärgert hatte. «Ihr könnt sie später bestrafen. Wenn Ihr aber frühzeitig beim Gewaltrichter sein wollt, müssen wir jetzt aufbrechen.»
«Ihr habt recht.» Mit einer Handbewegung gab sie Magda ein Zeichen, den Tisch abzuräumen, und ging hinaus, um ihren Zunftmantel zu holen. Wenig später war sie an Greverodes Seite auf dem Weg in die Judengasse.
«Ich weiß wirklich nicht, was in das Mädchen gefahren ist», setzte sie an, denn obgleich sie den Hauptmann nicht leiden konnte, hatte sie das Bedürfnis, ihn möglichst milde zu stimmen. Miras offener Ungehorsam war nicht dazu angetan, ihr dabei von Nutzen zu sein. «Ich werde sie selbstverständlichzur Rede stellen und sie für ihr Verhalten Euch gegenüber bestrafen.»
«Tut das.» Greverodes Stimme klang ungewöhnlich aufgeräumt. «Wenngleich ich zugeben muss, dass die edle Jungfer nicht unrecht hat.»
«Wie bitte?» Adelina blieb abrupt stehen und starrte ihn verblüfft an.
Der Hauptmann nahm sie am Arm und zog sie sanft weiter, bevor sie in dem dichten Treiben auf dem Alter Markt jemandem den Weg versperrten. «Mira von Raderberg ist von adeliger Geburt, Meisterin Burka. Ich bin es nicht.» Um seine Lippen zuckte es kurz. «Genau genommen steht sie auch über Euch.»
Adelina runzelte die Stirn. «Das gibt ihr aber noch lange nicht das Recht, sich derart ungezogen aufzuführen.»
«Das ist wahr.» Greverode nickte. «Ganz sicher werdet Ihr sie ordentlich dafür zurechtstutzen, und ich werde Euch bestimmt nicht daran hindern.» Er wies mit dem Kinn auf das Rathaus, zu dem es nur wenige Schritte waren. «Es scheint, als habe der Gewaltrichter bereits auf Euch gewartet.»
***
Tatsächlich stand Georg Reese vor dem Eingang des Rathauses und blickte ihnen ernst, aber offenbar zugleich erfreut
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